Interview mit Lynn August

 

© February 1997 / Bruno Michel

bm: Lynn, wie würdest Du Deine Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat ?

LA: Als “traditional Zydeco”. Eigentlich bekannt geworden ist diese Musik durch die Kreolen in Louisiana in den frühen 20er Jahren unseres Jahrhunderts. Eine Mischung aus Blues, französischem Gesangsgut und afrikanischen Einflüssen. Früher wurde gerade bei Liedern mit stark afrikanischem Einfluss in einer Art a capella gesungen, mit irgendwelchen Gegenständen als Rhythmus-Instrument, vom Kochtopf über Waschbretter oder Löffel.

 

bm: Auch wenn Du seit rund 10 Jahren Zydeco spielst, es gab eine Zeit, in der Du auch Country gespielt hast. Diese Musik befindet sich gegenwärtig auf einer phänomenalen Erfolgskurve. Warum glaubst Du, ist Country Musik heute so populär ?

LA: Nun, Country ist wie Blues. Es gibt diese Musikrichtungen schon sehr lange und sie haben ein breit abgestütztes Publikum. Auch Zydeco hat Country-Elemente, das macht diese Musik interessant, es ist wirklich eine gute Mischung. Früher habe ich, wie Du richtig sagst, ebenfalls eine Weile Country Musik gespielt. Gegenüber früher ist heute sicher die ausgefeilte Aufnahmetechnik mit ein Grund, dass sehr viele junge Leute Country spielen.

 

bm: Früher kannten wir diese Musik als Country & Western Music. Was denkst Du, ist mit dem Western Teil passiert.

LA: Leute wie Gene Autry und Tex Ritter sind wohl irgendwie aus der Mode gekommen. Früher gab es überall die grossen Country & Western Radio Shows, so auch in Shreveport, Louisiana die “Louisiana Hey Ride”. Dann natürlich in Nashville die Grand Ole Opry und viele andere Anlässe, welche den Musikern dieses Genres Gelegenheit boten, am Radio aufzutreten.

 

bm: Hast Du einen Lieblingskünstler ?

LA: Ray Charles. Er spielt verschiedene Musikrichtungen, darunter auch Country. Er war für mich immer ein Vorbild. Ich habe in den 35 Jahren meiner Karriere Blues, Jazz, Country, Gospel gespielt. Zydeco eigentlich erst seit 1988.

 

bm: Auf was schaust Du, wenn Du Material für ein neues Album auswählst ?

LA: Ich will vielseitig sein. Ich suche mir traditionelle Songs aus. Dann habe ich auch schon französische Kinderreime aufgenommen. Auf meinem letzten Album, das in der Schweiz von Blues House vertrieben wird habe ich einen solchen Kinderreim, den meine Grossmutter mir früher immer vorsang. Dann suche ich Lieder mit Inhalt, solche, die dem Zuhörer etwas mitteilen. Und natürlich Songs, zu denen die Leute tanzen können. Alles in allem, wie gesagt, Vielseitigkeit.

 

bm: Garth Brooks sagte einmal “Ein Lied ist eine Drei-Minuten-Gelegenheit, der Welt etwas mitzuteilen.” Was ist Deine “Mitteilung an die Welt” ?

LA: Ich möchte den Leuten, vor allem den jungen Leuten, mitteilen, dass Leben mehr ist, als nur überleben. Wenn Du die aktuellen Gesellschaftsprobleme mit Drogen usw. ansiehst, dann sehen viele Menschen den Sinn des Lebens offenbar nicht. Also singe ich über das Leben, über das, was einem wirklich passiert. Leute sollten einander helfen. Früher, wenn ein Nachbar krank war, haben die andern geholfen, seine Ernte ebenfalls mit einzubringen. Und um die Arbeit in Vergnügen umzuwandeln, haben die Menschen während der Arbeit gesungen. Mit ihren Werkzeugen haben sie sozusagen im Takt gearbeitet, dies gab den Rhythmus. Und genauso möchte ich mit meiner Musik die Leute zusammenbringen.

 

bm: Wer hat Deine Karriere bis jetzt am meisten beinflusst ?
LA: Ray Charles und Sam Cook. Dann mag ich Leute wie Ronnie Milsap, Keith Whitley oder Conway Twitty. Alles Künstler, bei denen die Musik aus dem Herzen kommt. In den Liedern dieser Sänger kommen oft ebenfalls Dinge aus dem Leben vor. Genauso, wie ich es mit meiner Musik versuche.

 

bm: Wohin soll Dich Deine Musik in Zukunft bringen ?
LA: Nun, ich möchte einfach, dass die Leute anerkennen, dass ich mein Leben lang hart gearbeitet habe, um da zu sein, wo ich heute bin. Seit über 35 Jahren ernährt mich die Musik. Ich will das Publikum erreichen, und ich hoffe, dass ich dies auch künftig tun kann.

 

bm: Was in Deiner Karriere hat Dich bisher am meisten befriedigt ?

LA: Um ehrlich zu sein, als ich 1991 die Gelegenheit hatte, in Europa zu touren. Ich finde, dass die Europäer nicht nur meine Musik mögen, sondern auch anerkennen, wieviel Aufwand dahinter steckt. Im Gegensatz zu meiner Heimat nimmt man sich hier die Zeit und liest über einen Künstler, informiert sich. Als ich das erste Mal hier war, fühlte ich mich wie zu Hause, es schien, dass mich jeder kennt.

 

bm: Was hat Dir der Erfolg bisher gebracht ?

LA: Er hat mir einige Wege geebnet. Mein ganzes Leben wollte ich anderen Leuten helfen. Durch meinen Erfolg kann ich z.B. anderen Bands aus Louisiana helfen, welche nicht so gute Kontakte haben. Das Musikgeschäft in den USA hat sich gegenüber der alten Schule, aus der ich komme, geändert. Früher musstest Du gut sein, um Erfolg zu haben. Heute kannst Du mit den richtigen Kontakten und dem richtigen Marketing auch ohne riesigen Aufwand berühmt werden. Ich und Leute aus meiner Zeit wurden nicht über Nacht berühmt. Wir hatten hart zu arbeiten, um unseren Erfolg zu erreichen. Einmal wurde ich interviewt von jemandem, der sagte “Hier haben wir Lynn August, einen “Overnight Success”. Ich sagte : “Ja, nur dass die Nacht 30 Jahre gedauert hat.”

Ich verwende aber auch Tantiemen aus der Musik, die ich z.B. für einen Film geschrieben habe, um in Zusammenarbeit mit einer Firma Computer für Behinderte aufzurüsten. Blinde können so mit ihrem Computer sprechen. Für stark sehbehinderte haben wir einen Vergrösserungs-Aufsatz für den Bildschirm entwickelt, so dass diese Menschen trotzdem am Bildschirm arbeiten können.

Oft werde ich von Veranstaltern gefragt, wo ich hingehen will. Nun, wie willst Du einem Blinden die Sehenswürdigkeiten zeigen? Am meisten Befriedigung habe ich dann, wenn sie mich mit andern Blinden zusammenbringen. So kann ich von ihnen lernen und sie von mir.

 

bm: Hat der Erfolg Dir etwas weggenommen ?
LA: 1994 war meine Mutter während etwa sechs Monaten schwer krank. Und ich musste dauernd rein und raus aus der Stadt, zu Auftritten oder anderen Verpflichtungen. Dies hat mich wirklich beschäftigt. Einerseits wollte ich bei ihr sein, andererseits gab es diese Verpflichtungen meinem Publikum gegenüber. Wäre ich nicht ein gefragter Musiker, hätte ich immer in der Nähe meiner Mutter sein können. Wir standen uns sehr nahe. Sie hat mich am meisten beeinflusst, meine Karriere zu verfolgen. Wenn ich nicht an den Erfolg glauben wollte, sagte sie : “Du kannst zwar nichts sehen, aber Du brauchst Deine Augen nicht, um zu denken und um Gefühle zu zeigen. Leider verstarb sie am 17. September 1994. Ich denke, dass war das einzige Mal, wo mir der Erfolg im Wege stand.

 

bm: Welchen Anteil hat Glück in der Karriere eines Artisten ?

LA: Heute einen enorm höheren Anteil als früher. Ich will keinem Musiker zu nahe treten. Aber stell Dir einen wirklich talentierten Musiker vor, der sein ganzes Leben in die Musik investiert hast, es aber nie wirklich bis ganz oben geschafft hat. Und dann kommt ein junger Künstler, kopiert Deinen Stil und macht über Nacht das grosse Geld. Ich kenne solche “Altstars”  in den USA sowohl im Country- als auch im Blues-Bereich. Ich muss allerdings zugeben, dass ich aus der alten Schule komme. Einige meiner Generation sind wohl mit meiner Meinung einverstanden, einige jüngere Musiker sehen es eventuell anders.

 

bm: Ich bin durchaus Deiner Ansicht. Wenn Du Dir die heutigen Nashville Produktionen anhörst, so gibt es viele, die brauchen die selben Studio-Musiker, klingen gleich, sind nicht von einander zu unterscheiden.

LA: Das hat natürlich auch mit der heutigen digitalen Technik und den Tricks zu tun, mit denen Du heute jemanden besser klingen lassen kannst, als er wirklich ist. Wo bleibt da die Persönlichkeit, das natürliche Talent. Wenn Du Dir alte Mastertapes anhörst, die noch im Zweikanal-Verfahren aufgenommen wurden und trotzdem heute noch gut klingen. Das muss ja einige der “alten” Musiker frustrieren. Wobei mir gerade ein Beispiel einfällt, wo Glück auch schon früher eine Rolle gespielt hat. Als Conway Twitty und Elvis Presley ihre Karriere begannen, hat sich Elvis im Verhältnis zu Conway wesentlich rasanter zur Spitze katapultiert und war über den Country Sektor hinaus ein Weltstar. Ich glaube nicht, dass Elvis wesentlich besser war als Conway. Ich mag die Arbeit von beiden, aber dies ist ein Beispiel, wie zwei wirklich talentierte Menschen unterschiedlichen Erfolg haben können. Darum glaube ich, dass heute das Glück die grössere Rolle spielt.

 

bm: Wenn Du ein Interview mit Lynn August führen würdest, welche Frage würdest Du ihm stellen, die ich nicht gestellt habe ?

LA: Hmm…. Ich glaube, Du hast einen enorm guten Job gemacht und so ziemlich alle Aspekte angeschnitten, die mir wichtig sind. Hättest Du die Frage nicht gestellt, was mir der Erfolg bringt, so würde ich sicher dieses noch anfügen. Es ist mir fast das wichtigste Anliegen, anderen zu helfen. Aber eben…Du hast selbst diese Frage gestellt. Ich hatte sehr viel Freude an diesem Interview.

 

bm: Ich ebenfalls. Lynn, vielen Dank für dieses Gespräch und wir wünschen Dir, dass Du noch vielen Menschen helfen kannst.