Interview mit Sarah Jory

© March 2005 / Bruno Michel - Fotos: Tony Fischer, Bruno Michel

 

Vor sechs Jahren habe ich zuletzt ein Interview mit Sarah Jory geführt. Grund genug, wieder einmal zu plaudern und heraus zu finden, was sich in den letzten Jahren so getan hat. Das vermutlich wichtigste Ereignis fand erst kürzlich statt: Sarah hat geheiratet. Und sich in den Flitterwochen auf Jamaica eine Bräune zugelegt, die uns hier in der winterlichen Kälte neidisch werden lässt.

 

bm: Sarah, seit unserem letzten Interview sind sechs Jahre vergangen. Wie würdest du die Veränderungen in dieser Zeit beschreiben?

SJ: Ich bin ein bisschen erwachsener geworden, hoffe ich. Musikalisch habe ich mich nicht verändert, ausser, dass ich damals noch einen Plattenvertrag hatte. Heute nicht mehr, deshalb konnte ich musikalisch zu dem zurück kehren, was ich im Inneren als Künstlerin fühle. Verträge sind grossartig, aber manchmal versuchen die Labelbosse, dich zu verändern, in eine Richtung zu drücken, die dir nicht entspricht. Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass ich nicht nur Sängerin, sondern vor allem Musikerin bin. Sie wollten aber nie Aufnahmen mit meinen Instrumenten für Pressematerial verwenden. Seit einiger Zeit mache ich alles selber. Mein neustes Projekt ist eine DVD über die Möglichkeiten der Steel Guitar. Wir werden darin viele Grenzen sprengen. Wenn alles klappt, kommt die Scheibe Anfang Sommer heraus.

 

bm: Bist du momentan bei keinem Label unter Vertrag?
SJ: Ich kann nur soviel sagen, dass ich in Verhandlungen stehe. Ausser dir weiss das noch fast keiner. In einigen Monaten sollte alles klar sein.

 

bm: Ist es ein grosses oder ein kleines Label?
SJ: Mehr will ich im Moment nicht sagen. Aber als sie mich kontaktierten, habe ich klar gestellt, dass ich seit über 25 Jahren in diesem Geschäft bin und schon verschiedene Plattenverträge hatte. Diesmal muss es so laufen, wie ich es mir vorstelle, sonst lasse ich es lieber bleiben. Das soll nicht überheblich klingen, aber es macht für mich persönlich nur Sinn, wenn ich meine Linie konsequent weiter verfolgen kann. Meine Fans sollen nicht enttäuscht sein, wenn sie nach einem Konzert ein Album von mir kaufen und feststellen, dass da eine komplett „andere“ Künstlerin vorgestellt wird.

 

bm: Ich habe schon viele deiner Shows gesehen und du stehst, wie du selber sagtest, seit 26 Jahren auf der Bühne. Woher nimmst du bloss diese Energie bei deinen, noch immer über zweihundert Auftritten pro Jahr?

SJ: Ich liebe es immer noch aufzutreten. Und ich habe eine ausgezeichnete Gesichtscreme, um die Falten zu verstecken (lacht). Ich mag dieses Geschäft, dieses Leben. Auf der Bühne zu stehen und die Leute mit der Musik zu erreichen ist das Grösste für mich. Klar fordert es dich physisch…

 

bm: …vor allem, solange du dein Instrument noch selber auf die Bühne schleppst…

SJ: …da lass ich keinen ran. Zudem ist genau das der Grund, warum ich mich inzwischen selber manage. Man hat immer versucht, mir zu sagen, dass ich als Star dies oder jenes nicht mehr tun darf, zu welchen Gagen ich nicht auftreten soll, etc. Ich will das selber bestimmen können, solange es mir Spass macht.

 

bm: Wenn du eine Zeitreise machen könntest, wohin würde sie führen?
SJ: Musikalisch in die späten 50er und frühen 60er Jahre. Die Zeiten, als Gitarrensound in den Vordergrund trat. Ich habe leider solche Zeiten nicht persönlich erleben dürfen. Aber es muss grossartig gewesen sein, als die Leute zum ersten Mal Künstler wie Chuck Berry oder Elvis am Radio hörten. Diese Zeit hat musikalisch so viel in Bewegung gesetzt, ganze Generationen verändert. Als Zuhörer liebe ich die Musik der 70er. Die heutige Musik versucht Generationen eher zu beeinflussen, als sie zu verändern. Welche der heute aktuellen Songs werde ich meinen Enkeln vorsingen? Sicher nichts aus dieser Zeit, aber nach wie vor Lieder von Patsy Cline, Brenda Lee oder den Beatles.

 

bm: In welche Zeit würdest du in Bezug auf dein Lieblingsinstrument, die Steel Guitar, reisen?
SJ: Nun, das ist eine total andere Geschichte. Früher war Pedal Steel das Instrument, das irgendwo im Hintergrund auf der Bühne stand und der Musiker ein bisschen Begleitsound spielte. In den Vordergrund kam dieses Instrument erst in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren. Meine Helden, wie Buddy Emmons oder Lloyd Green, haben viel zur Popularität der Pedal Steel beigetragen. Ich stelle vor allem zu Hause in England fest, dass dieses Instrument in immer mehr verschiedenen Musikstilen eingesetzt wird.

 

bm: Das bringt mich dazu, eine später geplante Frage vorzuziehen. In Europa sind von den Steel Guitar Conventions der früheren Jahre viele verschwunden. Wäre das nicht der Moment, eine Europäische Steel Convention mit dem Zugpferd Sarah Jory ins Leben zu rufen?

SJ: Ja, absolut. Man hat mich deswegen sogar schon angefragt. Mein „Problem“ im Moment ist, dass ich total beschäftigt bin mit all meinen Projekten und über zweihundert Auftriten pro Jahr. Es ist also ein Zeitproblem. Eine solche Convention organisierst du nicht nebenbei. Du brauchst Sponsoren, die Top Spieler, die du bringen musst, um attraktiv zu sein, wollen auch etwas verdienen. Das Ganze ist einfach enorm aufwendig. Aber so eine Convention irgendwo zentral in Europa würde helfen, neue Talente zu entdecken. Ich selbst spielte an einer Convention in Holland, als ich dreizehn Jahre alt war. Leider starb der Veranstalter und niemand hat den Anlass weiter geführt. In den USA gibt’s nach wie vor viele Conventions. Der grösste findet in St. Louis im September statt und diese Woche läuft gerade eine in Dallas.

 

bm: 1999 hast du mir erzählt, eines der grössten Hindernisse in diesem Geschäft sei, als Frau zu bestehen – erst recht als eine, die Steel Guitar spielt. Wie hast du dieses Hindernis überwunden?
SJ: Ich bin zufriedener mit mir selber und habe meine Denkweise geändert. Wenn du immer nur das Hindernis siehst, findest du nie Wege, es zu umgehen. Ich bin jetzt Mitte Dreissig. Früher hiess es: „Nun, sie ist ganz gut, wird aber irgendwann heiraten und Kinder kriegen, dann hat sich die Geschichte.“ Jetzt habe ich nach so langer Zeit allen und mir selber bewiesen, dass ich immer noch da bin. Das Hindernis existiert in meinem Denken nicht mehr. Ich muss nichts mehr beweisen.

 

bm: Hast du einen Glücksbringer?
SJ: Ja, mein Pick Bag. Das kleine Ding, das an meinem Instrument hängt und worin ich meine Fingerpicks und sonstiges Kleinmaterial für meine Pedal Steel aufbewahre. Lloyd Green hat mir das geschenkt, als ich zwölf Jahre alt war. Es ist handgemacht, trägt sogar Lloyd’s Initialen, LG und begleitet mich seit jeher.

 

bm: Wenn du eine Autobiografie schreiben würdest, welchen Titel hätte sie?
SJ: (schweigt eine Weile) Ich hab vor einigen Jahren mal einen Song aufgenommen mit dem Titel I Tell It Like It Used To Be. Und jemand aus der Band sagte danach im Studio: No, Tell It Like It Is. Ich glaube, das wäre ein guter Titel: „Ich sage, wie es wirklich ist“. Nicht alle würden vielleicht toll finden oder glauben, was ich da alles zu erzählen hätte, aber das wäre der Titel des Buches.

 

bm: Beim letzten Gespräch hast du gesagt, dass die Leute offener für die Variationen der Country Music sein sollten, dass aber niemals das Marketing der Musik vorangestellt werden darf. Heute sind wir leider doch an diesem Punkt angelangt. Wie weit würdest du gehen, um deine Karriere am Laufen zu halten?
SJ: Das ist eine einfache und gleichzeitig eine schwierige Frage. Einfach ist die Frage mit Blick auf meine heutige Situation. Ich habe momentan die totale Kontrolle über meine Karriere und mein Leben und mache nur, was mir Spass macht. Schwierig ist die Frage, wenn ich einen Supervertrag hätte, und meine ganze Karriere vom Erfolg der nächsten CD abhängen würde. Ich würde dann soweit wie nötig gehen, ohne jedoch mein eigenes Ich zu verleugnen. Ich will mir selber treu bleiben, das ist das Wichtigste.

 

bm: Wenn die Menschen in fünfzig Jahren auf deine Karriere zurück blicken, was hoffst du, dass sie über dich sagen werden?
SJ: Sie hatte Spass an dem, was sie tat (lacht). Und sie hat immer als hundert Prozent gegeben und war eine nette Person. So haben mich meine Eltern erzogen und wenn – was Gott verhindern möge – sie einmal nicht mehr da sind, bin ich sicher, dass sie von da oben beobachten, ob ich so bleibe, wie ich bin.

 

bm: Vor sechs Jahren wolltest du die nächste Frage aufschreiben, weil du nach eigenen Aussagen das erste Mal in einem Interview trotz langem Nachdenken keine Antwort hattest. Hier kommt sie noch mal: Wenn du Sarah Jory interviewen würdest, welche Frage stellst du ihr, die ich nicht gestellt habe?

SJ: Nein, das ist gemein…(lacht). Einige Dinge ändern sich nie, dazu gehört wohl deine letzte Interview Frage…(denkt wieder lange nach). Nein, wir haben soviel abgedeckt. Ich glaub’s nicht, aber ich habe wieder keine Antwort (lacht). Du hast mich wieder voll erwischt.

 

bm: Auch gut, lass es uns in ein paar Jahren das nächste Mal versuchen (Gelächter). Herzlichen Dank für dieses Gespräch.