Interview mit Willie Nininger

© November 1998 / Bruno Michel

 

Geboren und aufgewachsen ist er in New York, wo seine Eltern und Geschwister heute noch leben. Er studierte Literatur und begann mit sechzehn erste Songs zu schreiben. Fünf davon wurden für die “Captain Kangaroo Show” – einem Vorläufer der Sesamstrasse – selektiert. Ab 1975 spielte er in diversen Folk-Clubs in der New Yorker Gegend. 1981 folgte ein Auftritt in der “Hee Haw” Fernsehshow.

 

Zwei Jahre später war Willie das erste Mal zusammen mit seiner Schwester Annie in der Schweiz. Diesem Besuch folgten zahlreiche Auftritte an Schweizer Festivals in Frutigen, Wohlen usw.

1992 veröffentlichte er in den USA seine CD Almost Home. Ein Jahr später gewann er die New Talent Show im Zürcher Albisgüetli, sang mit Bundesrat Adolf Ogi zusammen auf der Bühne den Ogi Blues und brachte seine zweite Scheibe American Groove heraus.

 

Es folgten zwei Jahre voller Auftritte überall in der Schweiz, bis 1995 seine dritte Produktion Middle Of The Road erschien. Zu dieser CD schrieb ihm Ogi unter anderem : “Passen Sie auf, das kann gefährlich sein. Besonders mitten auf der Autobahn.”

 

Auch in den letzten Jahren hat Willie seine Zeit in der Schweiz mit durchschnittlich 100 Auftritten pro Jahr verbracht, sei es als Solo-Künstler oder zusammen mit seiner Band oder befreundeten Musikern. Auch seine Schwester Annie war in dieser Zeit immer mal wieder zu Besuch in unserem Land. Dieses Jahr ist nun seine aktuelle CD Here Comes Love erschienen. Seit längerer Zeit bilden Karl Guntern (bass) und Putzie Mayr (lap steel, harmonica, vocals) zusammen mit Willie eine stabile Auftrittsformation.

 

Ich sprach mit Willie Nininger kurz vor einer seiner zahlreichen “Heimwehreisen” in die USA über seinen Weg in die Schweiz, seine Einflüsse beim Songschreiben und natürlich über die Zukunft

 

bm: Willie, Du bist New Yorker. Wann hast Du Dich entschieden, Deine Heimat zu verlassen und warum ist die Schweiz Deine Wahlheimat?

WN: Meine Eltern stammen aus Kansas, aber aufgewachsen bin ich in New York. Dort gab’s einen Country Music Club, das Lonestar Café, wo wir mit unserer Family-Band – Vater, Bruder und Schwester – spielten. Bei unseren Auftritten hörten wir von einigen amerikanischen Künstlern über die Schweiz und dass sich dort eine Country Szene etablierte. Wir meldeten uns und wurden für die Dauer von fünf Wochen verpflichtet. Seit damals im Februar 83 bin ich immer wieder in die Schweiz zurückgekommen und für lange geblieben.

 

bm: Der Osten der USA ist nicht gerade die Hochburg der Country Music. Warum ist Willie ein Country Musiker und nicht ein “weisser Rapper”.

WN: Mein Vater spielte Geige, wir Kinder sangen schon zuhause zusammen. Musik war bei uns immer präsent. Einmal  bekam ich zu Weihnachten eine Gitarre geschenkt. So begann alles. Mein Bruder hörte eines Tages den Song Early Morning Rain von Gordon Lightfoot am Radio. Gesungen wurde er von Ian und Sylvia Tyson, den bekannten Songschreibern aus Kanada. So begannen wir, deren Platten zu kaufen, in die Folk-Szene hineinzuwachsen und kamen später zur Country Music durch unsere Auftritte im Lonestar Café.

 

bm: Wann hast Du beschlossen, als Profimusiker Deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

WN: Ich habe nie die “klassische” Entscheidung getroffen. Etwa in der Mitte meines Studiums merkte ich, dass ich an den Wochenenden genügend Geld verdiente, um knapp damit leben zu können. Nach dem Studium zog ich für ein Jahr nach Boston, wo meine Freundin lebte, machte jede Menge Nebenjobs wie Maler und Tellerwäscher, usw. und spielte in zahlreichen Clubs. Und so rutschte ich nach und nach ins Profimusikerleben.

 

bm: Du reist häufig zurück in die USA. Heimweh?

WN: Wenn Du einundwanzig Jahre in dieser Stadt gelebt hast, sicher. Zudem leben meine Eltern und meine Geschwister noch dort. Und bisher habe ich in New York all meine Platten produziert. Ich gehe gern zurück, auch um Freunde zu treffen. Dieses Jahr habe ich erstmals mehr Auftritts- als Ferientage. Also wird es auch eine Art “Geschäftsreise”.

 

bm: Allgemein beklagen Country-Musiker heute den Rückgang der Auftritte. Was müsste sich in der Schweiz ändern, damit die Leute wieder in Country-Konzerte kommen?

WN: Ich kann mich allgemein nicht beklagen und bin sehr froh darüber. Aber ich bin auch flexibel, nehme Solo-, Trio- und Full Band-Auftritte entgegen. Andererseits gab es in letzter Zeit einfach zuviele Festivals. Ich denke, dass die Leute auch sparen wollen und sich deshalb die Anlässe, an welche sie gehen, sehr genau aussuchen.

 

bm: Welche musikalischen Vorbilder haben Deine Entwicklung beeinflusst?

WN: Neben Karl und Putzie ?? (lacht). Bob Dylan, Jim Lauderdale, Ian und Sylvia Tyson, Steve Goodman, um nur einige zu nennen. Mit Steve – er schrieb u.a. den Song City Of New Orleans – verbindet mich etwas besonderes. Ich konnte viel von ihm lernen bezüglich Auftreten, Songwriting usw.

 

bm: Dein Repertoire beinhaltet viele Cajun-Elemente. Aus welchem Grund liegt Dir dieser Musikstil nahe?

WN: Interessante Frage. Ich habe das eigentlich nie so gesehen. Ich mag Cajun Musik. Aber ich mag auch andere Stile. Vielleicht stimmt es doch. Als ich für die New Talent Show nominiert war, gab mir jemand den Tip, doch einen Cajun Song zu schreiben, weil wir in der Band damals dreistimmige Harmonien singen konnten. So entstand der Song Town Called New Orleans, mit dem wir dann ja gewonnen haben.

 

bm: Seit Deiner ersten CD-Produktion 1992 hast Du einen Veränderungsprozess durchgemacht. Wo siehst Du Dich heute im musikalischen Spektrum – verglichen mit Deiner ersten Zeit in der Schweiz?

WN: Veränderungsprozess? Zumindest nicht bewusst. Natürlich entwickelt man sich weiter. Aber ich gehe nicht hin und sage: “So, jetzt will ich mich mal wieder ändern.” Es passiert einfach im Laufe der Zeit.

 

bm: Wie wichtig ist Dir das Songschreiben?

WN: Sehr wichtig. Ich schreibe seit meinem sechzehnten Altersjahr. Es gehört zu meinem Leben.

 

bm: Zählt für Dich der Text mehr oder die Musik?

WN: Für mich ist beides gleichwertig. Beim Schreiben habe ich zwar öfter zuerst die Worte und baue eine Melodie drum herum. Aber speziell hier in der Schweiz, wo Englisch nicht die Muttersprache der meisten Leute ist, zählt die Musik eher mehr.

 

bm: Deine aktuelle Produktion Here Comes Love ist seit kurzem auf dem Markt. Was bedeutet für Dich dieses Album?

WN: Keine Ahnung. Ich bin schlecht im Beantworten solcher Fragen. Frag die Radio-DJ’s oder Philippe Nicolet (lacht). Klar bin ich froh, nach rund drei Jahren wieder ein Album veröffentlichen zu können. Aber ich plane nicht so detailliert. Manchmal sind die spontanen Ideen die besten.

 

bm: Wann ist Willie Nininger zurück in der Schweiz und welche Pläne hast Du für das letzte Jahr des alten Jahrtausends?

WN: Unser erster Auftritt hier ist am 18. Dezember dieses Jahres. Weihnachten und Jahreswechsel werde ich also wieder hier feiern. Wenn’s 1999 so weiterläuft wie bisher, bin ich eigentlich schon zufrieden.

 

bm: Und zum Schluss: Was wünschst Du Dir für das kommende Jahrtausend?

WN: Ich hoffe, dass ich einiges davon noch erleben darf. Es scheint ein Riesenanlass, wenn man die Publicity darüber verfolgt. Jeder tut so, als gehen alle Zähler auf 0000. Aber im Endeffekt ist es doch nur ein weiterer Schritt in unserem Leben.