Interview mit Tracy Pitcox in Brady, TX, 2011

© 2011 / Bruno Michel; Fotos Bruno Michel

Tracy Pitcox ist die Persönlichkeit in Texas, wenn es darum geht, traditionelle Country Musik zu fördern. Im März 2011 konnte er mit seiner Crew den 22. Jahrestag seiner “Heart of Texas Country Music Association”, feiern, der Dach-Organisation seiner zahlreichen Unternehmungen.

Vor über 25 Jahren begann alles mit seiner eigenen Radio-Show auf KNEL, einem Lokal-Sender in Brady, Texas. Die “Hillbilly Hits Radio Show” ist heute noch jeden Donnerstag und Samstag von sechs bis zehn Uhr abends (Central Time) zu hören (http://www.knelradio.com).

In seine Shows lud er Künstler als Co-Moderatoren ein. Die Namen lesen sich wie ein Lexikon der traditionellen Country Musik: Kitty Wells, Charlie Louvin, Hank Locklin usw. Tracy nutzte jede Gelegenheit, mit den Stars Interviews zu führen, die er teilweise im Buch “Legendary Conversations With A Texas Disc Jockey” (ISBN # 978-1-4276-1799-6) zusammengefasst hat.

Tracy’s Plattenfirma “Heart Of Texas Records”, bildet den Vertriebskanal für Legenden wie Ferlin Husky, Frankie Miller, Darrell McCall, Curtis Potter oder Tony Booth. Zudem fördert er jüngere Künstler wie Amber Digby oder Justin Trevino.. Trevino wirkt zudem als Produzent aller vom Label veröffentlichten CDs.

Immer, wenn eine der Grössen in der Nähe spielte, ergatterte Tracy, ein Erinnerungsstück. Einmal kaufte er ein Kleid von Rose Maddox für $100. Er ist heute noch der Meinung, dass dies die beste Investition in seinem 40-jährigen Leben war. Mit der Zeit baute er eine beachtliche Kollektion auf und eröffnete im Jahr 2000 das “Heart Of Texas Country Music Museum”, in seiner Heimatstadt Brady. Mehr als 75 Künstler haben mittlerweile Artikel beigesteuert und das Museum expandiert laufend.

Als umtriebiger Unternehmer ist er dauernd auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Er bringt seine Künstler bei diversen lokalen Country Oprys in Llano, Mason und Marble Falls unter, arrangiert Kreuzfahrten mit musikalischer Unterhaltung oder veranstaltet regelmässig Bus-Touren nach Branson, Missouri und Nashville, Tennessee.

Dank Persönlichkeiten wie ihm wird die Traditionelle Country Musik nie in Vergessenheit geraten. Ich nutzte einen Besuch in Brady zur Gelegenheit für ein Gespräch.

BM: Tracy, neben deinen zahllosen Aktivitäten. habe ich auch gelesen, dass du mal Hochzeiten arrangiert hast. Wo findest du die Zeit, all das unter einen Hut zu bringen?
TP: (lacht). Ich habe DJ an Hochzeiten gespielt. Als kleiner Junge habe ich die nächtlichen Radio Sendungen von Bill Mack oder Larry Scott verfolgt. Da konnte man anrufen und Songs wünschen, was ich ausgiebig tat. Als ich 15 Jahre alt war, hatte ich meinen ersten Job beim lokalen Sender KNEL hier in Brady. Dann führte ich Interviews mit den Künstlern, die ich während meiner Sendung spielte, was wiederum dazu führte, dass ich begann, Konzerte mit diesen Grössen zu veranstalten. Es ist nicht so, dass ich vor 20 Jahren einen Plan hatte, es hat sich einfach so entwickelt.

BM: Viele unserer geliebten traditionellen Künstler sind bereits verstorben. Wenn ich an Amber Digby oder Justin Trevino denke, scheint mir, dass viel weniger Nachwuchs folgt, als Altmeister gehen. TP: Um mit dem George Jones Titel zu fragen: “Who’s Gonna Fill Their Shoes” deiner Meinung nach?
Sehr gute Frage. Wir werden wohl nie mehr eine Kitty Wells, einen Ernest Tubb oder Hank Thompson haben. Es wird heute sehr viel über die Zukunft der traditionellen Country Musik debattiert. Ich habe ein echtes Problem mit den Leuten, die das Sterben dieses Genres beklagen, statt nach vorne zu sehen und dankbar zu sein, dass es Künstler wie Amber Digby, Justin Trevino, Jake Hooker oder Bobby Flores gibt, die es am Leben erhalten.

BM: Aber es ist tragisch, dass jeder, der nicht eine halbe Million Alben verkauft, seinen Vertrag verliert? Darum braucht es doch überhaupt Labels wie deines, die solche Künstler vertreiben.
TP: Stimmt, wir haben bewiesen, dass man auch Geld verdienen kann, ohne diese Mengen zu verkaufen. Es geht also. Ich kann mich an die letzten Alben von Ernest Tubb erinnern, von denen er jeweils fünf bis fünfzehntausend verkaufte und zufrieden war. Und er war einer der grössten Künstler überhaupt.  Heute hätte er bei einem Major Label keine Chance. Ich sehe es als Aufgabe der Plattenfirma, die Aufnahmen des Künstlers zu finanzieren und dann, mit der richtigen Werbung, zu hoffen, dass sich das Projekt rechnet. So machen wir’s bei “Heart of Texas Records”. Wenn die Ausgaben für eine CD wieder eingespielt sind, stecken wir das Geld ins nächste Projekt.

BM: Was – falls überhaupt – würdest du anders machen, wenn du deine Karriere nochmals bei KNEL anfangen könntest?
TP: Ich weiss nicht, ob ich viel anders machen würde. Klar habe ich Fehler gemacht, das gehört zum Lernprozess. Ich war gerade 18 Jahre alt und hatte Kitty Wells und Johnny Wright gebucht für einen Auftritt im Auditorium der Brady Highschool. Dachte mir, dass mit einigen Postern und Inseraten solche Namen automatisch genug Publikum anziehen würden, um für den Auftritt zu zahlen. Irrtum. Ich musste von meinem Vater $500 leihen, um die Gage zu berappen. Am nächsten Morgen holte ich Kitty und Johnny zum Frühstück ab. Johnny fragte: „Tracy, war dies deine erste Show, die du gebucht hast?“ Ich bejahte. Er wusste genau, wie’s lief und meinte: “Kitty und ich haben das besprochen. Wenn du mal wieder Gelegenheit hast, buch uns einfach noch einmal“ – und gab mir meinen Check zurück. Ich habe meine Lektion gelernt und die beiden danach noch oft gebucht. Diese Geste werde ich nie vergessen.

BM: Ich habe kurz gerechnet: Du hast in deinen 25 Jahren Radio rund 60’000 Songs gespielt. Irgendwie wird das Routine. Wie machst du deine Show nach wie vor attraktiv?
TP:
Ich versuche, die Leute entscheiden zu lassen, was ich spielen soll. Klar läuft sich ein bestimmter Song irgendwann „tot“, dann muss ich eben was anderes nehmen. Aber lass die Leute selber bestimmen, was läuft, würze das Ganze mit Live Interviews und eingen andern Zutaten und deine Show lebt.

BM: Du lieferst im Moment Künstler für die Country Oprys von Marble Falls, Mason and Llano. Wir haben viele dieser Shows besucht, meist sind sie restlos ausverkauft. Gibt es weitere Projekte in dieser Richtung?
TP: (lacht) Da müsste ich mir wohl erst eine neue Frau suchen. Sie ist der Meinung, dass ich absolut am Anschlag laufe, was meine zeitliche Belastung angeht. Llano ist unser grösster Anlass, praktisch jeden Monat ausverkauft. Marble Falls liegt nur wenig zurück. Mason ist die kleinste Lokation. Ich möchte sie aber nicht missen, den dort hat alles angefangen. Momentan wird in Brady ein altes Theater restauriert und ich hoffe, künftig mehr Anlässe hier lokal durchführen zu können.

BM: Was würde Tracy Pitcox heute beruflich machen, wenn er nicht im Musikgeschäft wäre?
TP:
Mein erster Job überhaupt war das Bewässern von Gräbern. Ich war elf Jahre alt und half einem älteren Mann aus. Pro Grab erhielt ich $2 und ich hatte dreissig Gräber jede Woche. Danach ging’s auf $3 pro Grab hoch und nach zwei Jahren „erbte“ ich das Geschäft, als sich mein Arbeitgeber zurück zog. Also, vielleicht wäre ich Friedhofsgärtner (lacht).

BM: Ich habe selber viele Interviews geführt und bin dauernd auf der Suche nach speziellen Fragen. Wie wählst du Themen für deine Interviews aus?
TP:
Ich versuche, möglichst Fragen zu finden, die selten oder nie gestellt werden. Charley Pride hat mir mal erzählt, dass er es satt hat, ständig danach gefragt zu werden, wie er sich als erster farbiger Country Music Entertainer fühle. Ich kann’s ihm nicht verübeln. Also versuche ich, etwas Spezielles zu finden. Ich lese auch viele Interviews anderer Journalisten.

BM: An welches Ereignis bei all deinen Begegnungen erinnerst du dich am liebsten?
TP:
Was mich zufrieden stellt ist die Tatsache, dass ich mich mit diesen Stars unterhalten kann, dass sie mich kennen, wenn ich anrufe. Ich erinnere mich an eine spezielle Sache, als ich mit Ferlin Husky in Wisconsin an einem Konzert war. Ferlin gab nach dem Auftritt endlos Autogramme und die Warteschlange wollte nicht enden. Nach über einer Stunde war er körperlich erschöpft und meinte zu mir: „Bring mich hier raus, ich kann nicht mehr.“ Ich fragte, wie er das anstellen wolle, die Leute würden Amok laufen. Er sagte: „Nimm einfach meine Hand und führe mich zum Ausgang.“ Natürlich wollten uns die Leute aufhalten, als wir los gingen. Und Ferlin Husky, dieser grosse 83jährige Mann in seinem weissen Anzug rief mehrfach laut: „Ich hab Durchfall, ich muss hier weg.“ Du glaubst nicht, wie schnell wir eine Gasse zum Ausgang offen hatten. Das ist eine meiner lustigsten Erinnerungen.

BM: Das Format, das du förderst, hat viele Anhänger in Europa. Wie wär’s mit einer Tour einiger deiner Künstler?
TP:
Sehr gerne. Kürzlich waren wir mit Leona Williams, Georgette Jones und Billie Jo Spears in Irland. Und dieses Jahr gehen wir wieder mit einigen andern Künstlern nach Schottland...
BM:
…Ich meinte mehr Kontinentaleuropa, wo auch das Essen besser ist…
TP:
Das wäre super. Ich kenne einige Künstler, die da mit machen würden. Ferlin hat mir erzählt, wie gerne er die Europäischen Fans hatte. Er wird sicher nicht mehr reisen in seinem Alter, aber Tony Booth und andere wären begeistert.

BM: Wenn du Tracy Pitcox interviewen würdest, welche Frage stellst du, die ich nicht gestellt habe?
TP:
Das ist eine schwierige Frage. Ich würde mich fragen….warum sitze ich hier und überlege, was ich mich fragen würde (lacht). Ich denke, ich würde fragen, warum wir das alles machen. Es ist wegen der Leute. Die Museumsbesucher, die Konzertbesucher, all jene, die unsere Musik hören. Wir werden viele nie kennen lernen, aber irgendwo legt jemand eine CD von Heart of Texas Records ein und freut sich an der Musik. Und in fünfzig Jahren wird man vielleicht ab und zu Musik von uns spielen.

BM: Vielen Dank für das Gespräch.