Interview mit Rhonda Vincent

© March 2003 / Bruno Michel

 

Sie sammelt Auszeichnungen wie andere Leute Schallplatten. 25 Awards hat Rhonda Vincent in ihrer Karriere bisher sowohl von der International Bluegrass Music Association (IBMA) als auch von der Society for Preservation of Bluegrass Music in America (SPBGMA) erhalten. Und es werden weitere dazu kommen. Seit 1967 ist ihre Musik auf Tonträgern zu haben und in ihrer Band, The Rage, hat sie vier Spitzenmusiker mit jahrzehntelanger Erfahrung um sich versammelt. Zwar kamen alle Musiker zwischen 2000 (Audie Blaylock) und August 2002 (Mickey Harris) zu Rhonda, aber diese Formation lässt nicht nur die Herzen von Bluegrass Fans höher schlagen.

 

bm: Rhonda, Du hast enorm viele Awards erhalten und das Wall Street Journal bezeichnete Dich als New Queen of Bluegrass Music. Was bedeuten solche Ehrungen und Titel für Dich persönlich?

RV: Sehr viel. Wir waren letztes Jahr dreihundert Tage auf Tour. Wenn unsere Arbeit nach so viel Aufwand mit solchen Auszeichnungen geehrt wird, bedeutet mir das ausserordentlich viel.

 

bm: Wayne Taylor von Blue Highway hat mir 1998 in einem Interview erzählt, dass es für einen erfolgreichen Bluegrass Künstler schon erfreulich ist, wenn er von einem Album um die 30’000 Scheiben verkauft. Wie hat sich das Geschäft seit damals entwickelt?

RV: Das ist immer noch ähnlich. Ich habe gerade die 50’000er Grenze in den USA überschritten. Dies ist eine unglaubliche Zahl, auf die ich auch sehr stolz bin.

 

bm: Warum ist Bluegrass plötzlich auch ausserhalb der Szene wieder so populär? Hat der Film O Brother Where Art Thou soviel zum Bluegrass Revival beigetragen?
RV: Der Film hat sehr viel geholfen. Aber der grösste Faktor in der Verbreitung der Bluegrass Music, der Musik überhaupt, ist sicher das Internet. Wir können in der ganzen Welt mit Musik-Liebhabern kommunizieren und viele finden über das Netz den Weg zu neuen Stilrichtungen – auch zu Bluegrass. Die Leute scheinen sich wieder mehr für authentische Musik zu interessieren.

 

bm: Welchen Song würdest Du spielen, wenn Du all Deine Talente dem Publikum zeigen möchtest?

RV: Wir strukturieren die Show so, dass jeder seine Fähigkeiten zeigen kann. Für mich kann ich keinen einzelnen Song nennen. Bei den einen spiele ich Gitarre, dann Mandoline oder Fiddle und zudem singe ich. Also kaum machbar, die Talente in einen Song zu packen.

 

bm: Man sagt, Du eröffnest Deine Shows jeweils mit dem Song Cry Of The Whippoorwill. Dies ist ein nachtaktiver Vogel. Gibt es dafür einen Grund, ausser dass Musiker auch „Nachtvögel“ sind?

RV: Vielleicht (lacht). Eigentlich weil es ein schöner Song ist. Mir fiel er ein, als ich im Auto unterwegs war. Wie ich das geschafft habe, weiss ich bis heute nicht – mit einer Hand am Steuer, der andern am Handy und singend...

 

bm: Was geht in Dir vor, wenn Du zum ersten Mal in einem unbekannten Land auf der Bühne stehst und auf die Leute herab schaust?
RV: Ich hoffe, dass sie Englisch verstehen. (lacht).

 

bm: Was ist das Wildeste, das Dir auf all Deinen Tourneen passiert ist? Mal abgesehen von Deinem Bandscheibenproblem im Jahr 2001 oder dem Feuer in Eurem Tourbus am 11. Januar dieses Jahres?

RV: Das Wildeste weiss ich nicht, aber das Schlimmste. Es war im Mai 2000. Die gesamte Bühnenbeleuchtung brach über uns zusammen. Diese riesigen Scheinwerfer aufgehängt an ihren Stahlstreben, einfach alles. Es begann damit, dass ein Scheinwerfer ins Schwingen geriet, was wir aber nicht bemerkten. Dann knallte das Ding samt Aufhängung herunter und traf Audie am Rücken. Der Rest der Beleuchtungsanlage brach auch zusammen, und ein Teil des Gerüsts traf mich am Hinterkopf. Das Resultat war eine Gehirnerschütterung sowie andere Blessuren und ein Spitalaufenthalt. Das war wohl das dramatischste Erlebnis.

 

bm: Ronnie Bowman von der Lonesome River Band erzählte mir einmal, dass sie ihre Songs durch Fehler machen aussuchen. Wie suchst Du Deine Lieder für CD-Produktionen aus?

RV: Ich glaube, Ronnie hat recht. Ich habe gerade meine neue CD fertig gestellt (Anm: kommt am 29. April), und auch ich probiere Songs gerne am Live-Publikum aus, bevor ich sie für eine CD aufnehme. Wir haben zum Beispiel einen neuen Gospelsong, Fishers Of Men, und bevor ich den aufnahm, spielte ich ihn einige Male live. Die Leute waren ganz verrückt danach, also entschied ich mich für die Aufnahme.

 

bm: Du hast auf allen renommierten Festivals gespielt und mit den meisten Legenden auch. Gibt es trotzdem noch einen Anlass bei dem Du auftreten oder einen Künstler, mit dem Du die Bühne teilen möchtest?

RV: Ich würde sehr gerne ein Duett mit Ricky Skaggs aufnehmen, das würde ich wirklich gern...kannst Du uns zusammen bringen? (lacht).

 

bm: Er sollte eigentlich von selber drauf kommen (Gelächter).

RV: Ja, mein Bruder spielt ja schliesslich bei ihm in der Band.

 

bm: Nehmen wir an, Du findest Aladin’s Wunderlampe und der Geist gewährt Dir drei Wünsche. Welche wären das?

RV: Gesundheit und Zufriedenheit für mich und meine Familie. Erfolg bei meinen Projekten. Und sicher auch gute Freunde. Die sind sehr wichtig. Egal wo Du bist auf der Welt, das Gras, die Felsen und Flüsse, alles ist gleich. Es sind die Menschen, die einen Ort zu etwas Speziellem machen.

 

bm: Wenn Du ein Interview mit Rhonda Vincent führen könntest, welche Frage stellst Du ihr, die ich nicht gestellt habe?
RV: (lacht) Was stellst Du für Fragen..., ach so, ich soll ja mich fragen, nicht Dich. Vielleicht würde ich mich fragen, was ich zuhause am liebsten anziehe. Das ist etwas, das ich niemals jemandem erzähle. Meine Familie weiss es zwar, aber wir haben so was wie ein Stillschweige-Abkommen getroffen.

 

bm: Damit hast Du die Antwort gleich selber gegeben, ein guter Schlusspunkt. Jetzt können die Fans beginnen mit Raten. Herzlichen Dank für das Gespräch.