Portrait Jimmie Dale Gilmore

© December 1998 / Bruno Michel

 

„Ich bin ein Folk-Musiker und ein Traditionalist“, sagte er einmal. „Aber die Tradition, mit der ich aufwuchs war verpackt in unterschiedlichste Radiomusik. Und die Folkmusik ist für mich alles von Hank Williams und Elvis, über Little Richard und die Beatles bis hin zu Joan Baez, Chuck Berry und Brenda Lee.“

 

Jimmie Dale Gilmore kam 1945 in Amarillo, Texas, zur Welt. Der Westen von Texas bringt zwei Sorten Kinder hervor. Jene, die den Horizont als Gefängnismauer ansehen und nie aus der Umgebung rauskommen, und jene, die ihn als Durchschlupf in eine vielversprechende Welt sehen. Gilmore gehörte zur letzteren Kategorie. Er erkannte bald, dass die Musik ein Ticket zum Reisen darstellte. Für ihn und seine Jugendfreunde, Butch Hancock und Joe Ely war die Welt voller Möglichkleiten, die es zu erkunden galt.

 

In den späten sechziger Jahren gründete Gilmore seine erste Gruppe, die T. Nickel House Band, welcher schon bald die Hub City Movers folgte. Aber erst mit den Flatlanders kamen Gilmore und seine Songs richtig zum Zuge. Das Kernstück dieser Band : Das Singer/Songwriter Trio Gilmore, Ely und Hancock.

 

Der erste Sound, den Käufer der Flatlanders-Platte hörten, war die bewegende Stimme von Gilmore in seinem Song Dallas. Die ersten Worte, Have you ever seen Dallas from a DC-9 at night, mögen für andere Sänger einfach Text sein. Gilmore singt sie mit dem melancholischen Echo unrealisierter Träume und der Erkenntnis, dass Lichter meistens nur aus der Distanz schön sind, sprich, näher betrachtet, erfährt man die harte Realität der Dinge. Gilmore zeigt damit seine Begabung, eine Welt voller Emotionen und Widersprüche in ein paar wenige Worte zu verpacken.

 

Leider erkannten nur wenige Gilmore‘s Begabung. Die Flatlanders – sehr unerfahren im Musikgeschäft – wurden aus Nashville herauskomplimentiert. Ihre ersten Albumaufnahmen standen unter einem schlechten Stern und die einzigen Kopien, die den Markt erreichten, waren auf 8-Spur-Band zu haben. 1980 kamen diese Aufnahmen auf dem englischen Label Charly unter dem Titel One Road More heraus und seit 1991 sind sie auch auf Rounder Records unter More A Legend Than A Band erhältlich.

 

Von 1974 bis 1980 zog sich Gilmore aus dem Musikgeschäft zurück und lebte in Denver in einer spirituellen Gemeinde, die sich dem Guru Maharaji verschrieben hatte. Seine Songs wurden noch immer vom Radio gespielt, vor allem Joe Ely‘s Cover-Versionen von Dallas, Treat Me Like A Saturday Night oder Tonight I Think I‘m Gonna Go Downtown.

 

Erst 1980, als Gilmore schon eine Weile zurück in Austin war, begann er sich einen Neustart im Musikgeschäft zu überlegen. „Ich glaubte, mein musikalisches mit meinem spirituellen Leben verbinden zu können“, erklärte er damals einem Journalisten. Es war nicht einfach. Er erinnerte sich an ein Buch von Ezra Pound, welches er in seiner Collegezeit gelesen hatte. Dort stand der Satz : „Der Text ist schlecht, wenn er sich zu weit vom Song entfernt. Und der Song ist schlecht, wenn man zu ihm nicht tanzen kann.“

 

„Diese Zeilen bekamen für mich plötzlich Sinn, weil ich ein Musikliebhaber bin, aber auch, weil ich glaube, dass Musik immer verständlich sein sollte“, sagt Gilmore. Also begab er sich auf die Honky-Tonk-Ebene und trat in zwei Clubs in Austin, The Alamo Lounge und emmajoe‘s auf. Dort befand er sich in guter Gesellschaft von Leuten wie Lyle Lovett, Robert Earl Keen, Lucinda Williams oder Nancy Griffith.

 

Endlich, 1988, brachte er sein erstes Soloalbum auf Hightone Records heraus : Fair & Square, welchem 1989 das Album Jimmie Dale Gilmore folgte. Beides waren Versuche, Gilmore in einer eher verständlichen, kommerziellen Art darzustellen. 1991 folgte als Teil der American Explorer Series von Elektra die Scheibe After A While. Die Kritiken im Musikmagazin Rolling Stone nannten ihn Country Artist of the Year. Nun, warum nicht. Gilmore konnte endlich die Musik aufnehmen, die in seinem Kopf schon lange war, eine Synthese aus Country, Blues und Rock.

 

Dieser Vision folgte Gilmore auch mit seinem 93er Album Spinning Around The Sun (Elektra). Produziert von Emory Gordy Jr. – der  schon Alben von Patty Loveless oder George Jones produzierte – und aufgenommen in einem Nashville, das sich weit offener und zugänglicher präsentierte, als sich dies die Flatlanders damals je vorstellen konnten, wurde dies zu Gilmore‘s vollständigstem Werk und zu einer Art Eintrittskarte ins Country Geschäft. „Obwohl ich nicht behaupten kann, das Country Music Business habe mich früher je zurückgewiesen, denn ich konnte mich diesem Geschäft ja bisher nie präsentieren“, meint Gilmore ironisch.

 

Es dauerte bis 1996, als wiederum auf Elektra das Album Braver Newer World erschien, diesmal produziert von T-Bone Burnett. Mit diesem Werk macht Gilmore wieder einen bewussten Schritt weg von der bekannten Country-Instrumentierung mit Liedern, bei denen Gilmore‘s Stimme in den Arrangements von Harmonium und Blasinstrumenten erklingt. Oder durch seine Version eines Blind Lemon Jefferson Songs. „Ich würde gern ein ganzes Album solcher alten Blues Songs machen oder auch ein traditionelles Country-Album. Aber die Country Music, die ich gerne mag, wird heute schon gar nicht mehr gespielt. Vielleicht nehm ich solche Alben mal auf, wenn ich reich bin“, sagt er in weiser Voraussicht. Vielseitigkeit ist eine von Gilmore‘s Stärken. In der Filmgeschichte hat er sich jedenfalls auch schon seinen Platz erobert, indem er in Red, Hot + Country (1995) und in The Big Lebowsky (1998) seine Auftritte hatte.

 

Ob Jimmie Dale Gilmore jemals ein Rockefeller wird oder nicht. Seine Stimme und Lieder sind von einer solchen Reinheit, dass die Zuhörer am liebsten die Bühne stürmen und seinen Gitarrenkoffer mit Geld überschwemmen möchten, wie das früher bei Strassenmusikanten üblich war. Wenn man Gilmore darauf anspricht, meint er schmunzelnd : „Das ist eine gute Angewohnheit, eine sehr gute sogar.“