Portrait Jimmie
Dale Gilmore
„Ich bin ein
Folk-Musiker und ein Traditionalist“, sagte er einmal. „Aber die Tradition, mit
der ich aufwuchs war verpackt in unterschiedlichste Radiomusik. Und die
Folkmusik ist für mich alles von Hank Williams und Elvis, über Little Richard
und die Beatles bis hin zu Joan Baez, Chuck Berry und Brenda Lee.“
Jimmie Dale
Gilmore kam 1945 in Amarillo, Texas, zur Welt. Der Westen von Texas bringt zwei
Sorten Kinder hervor. Jene, die den Horizont als Gefängnismauer ansehen und nie
aus der Umgebung rauskommen, und jene, die ihn als Durchschlupf in eine
vielversprechende Welt sehen. Gilmore gehörte zur letzteren Kategorie. Er
erkannte bald, dass die Musik ein Ticket zum Reisen darstellte. Für ihn und
seine Jugendfreunde, Butch Hancock und Joe Ely war die Welt voller
Möglichkleiten, die es zu erkunden galt.
In den späten
sechziger Jahren gründete Gilmore seine erste Gruppe, die T. Nickel House Band,
welcher schon bald die Hub City Movers folgte. Aber erst mit den Flatlanders
kamen Gilmore und seine Songs richtig zum Zuge. Das Kernstück dieser Band : Das
Singer/Songwriter Trio Gilmore, Ely und Hancock.
Der erste Sound,
den Käufer der Flatlanders-Platte hörten, war die bewegende Stimme von Gilmore
in seinem Song Dallas. Die ersten
Worte, Have you ever seen Dallas from a
DC-9 at night, mögen für andere Sänger einfach Text sein. Gilmore singt sie
mit dem melancholischen Echo unrealisierter Träume und der Erkenntnis, dass
Lichter meistens nur aus der Distanz schön sind, sprich, näher betrachtet,
erfährt man die harte Realität der Dinge. Gilmore zeigt damit seine Begabung,
eine Welt voller Emotionen und Widersprüche in ein paar wenige Worte zu
verpacken.
Leider erkannten
nur wenige Gilmore‘s Begabung. Die Flatlanders – sehr unerfahren im
Musikgeschäft – wurden aus Nashville herauskomplimentiert. Ihre ersten
Albumaufnahmen standen unter einem schlechten Stern und die einzigen Kopien,
die den Markt erreichten, waren auf 8-Spur-Band zu haben. 1980 kamen diese
Aufnahmen auf dem englischen Label Charly unter dem Titel One Road More heraus und seit 1991 sind sie auch auf Rounder
Records unter More A Legend Than A Band
erhältlich.
Von 1974 bis
1980 zog sich Gilmore aus dem Musikgeschäft zurück und lebte in Denver in einer
spirituellen Gemeinde, die sich dem Guru Maharaji verschrieben hatte. Seine Songs wurden
noch immer vom Radio gespielt, vor allem Joe Ely‘s Cover-Versionen von Dallas,
Treat Me Like A Saturday Night oder Tonight I Think
I‘m Gonna Go Downtown.
Erst 1980, als
Gilmore schon eine Weile zurück in Austin war, begann er sich einen Neustart im
Musikgeschäft zu überlegen. „Ich glaubte, mein musikalisches mit meinem
spirituellen Leben verbinden zu können“, erklärte er damals einem Journalisten.
Es war nicht einfach. Er erinnerte sich an ein Buch von Ezra Pound, welches er
in seiner Collegezeit gelesen hatte. Dort stand der Satz :
„Der Text ist schlecht, wenn er sich zu weit vom Song entfernt. Und der Song
ist schlecht, wenn man zu ihm nicht tanzen kann.“
„Diese Zeilen
bekamen für mich plötzlich Sinn, weil ich ein Musikliebhaber bin, aber auch,
weil ich glaube, dass Musik immer verständlich sein sollte“, sagt Gilmore. Also
begab er sich auf die Honky-Tonk-Ebene und trat in zwei Clubs in Austin, The Alamo Lounge und emmajoe‘s auf. Dort befand er sich in guter
Gesellschaft von Leuten wie Lyle Lovett, Robert Earl Keen, Lucinda Williams
oder Nancy Griffith.
Endlich, 1988,
brachte er sein erstes Soloalbum auf Hightone Records heraus
: Fair & Square, welchem
1989 das Album Jimmie Dale Gilmore
folgte. Beides waren Versuche, Gilmore in einer eher verständlichen,
kommerziellen Art darzustellen. 1991 folgte als Teil der American Explorer
Series von Elektra die Scheibe After A While. Die Kritiken im Musikmagazin
Rolling Stone nannten ihn Country Artist of the Year. Nun, warum nicht. Gilmore
konnte endlich die Musik aufnehmen, die in seinem Kopf schon lange war, eine
Synthese aus Country, Blues und Rock.
Dieser Vision
folgte Gilmore auch mit seinem 93er Album Spinning
Around The Sun (Elektra). Produziert von Emory Gordy Jr. – der schon Alben von Patty Loveless oder George
Jones produzierte – und aufgenommen in einem Nashville, das sich weit offener
und zugänglicher präsentierte, als sich dies die Flatlanders damals je
vorstellen konnten, wurde dies zu Gilmore‘s vollständigstem Werk und zu einer
Art Eintrittskarte ins Country Geschäft. „Obwohl ich nicht behaupten kann, das
Country Music Business habe mich früher je zurückgewiesen, denn ich konnte mich
diesem Geschäft ja bisher nie präsentieren“, meint Gilmore ironisch.
Es dauerte bis
1996, als wiederum auf Elektra das Album Braver
Newer World erschien, diesmal produziert von T-Bone Burnett. Mit diesem
Werk macht Gilmore wieder einen bewussten Schritt weg von der bekannten
Country-Instrumentierung mit Liedern, bei denen Gilmore‘s Stimme in den
Arrangements von Harmonium und Blasinstrumenten erklingt. Oder durch seine
Version eines Blind Lemon Jefferson Songs. „Ich würde gern ein ganzes Album
solcher alten Blues Songs machen oder auch ein traditionelles Country-Album.
Aber die Country Music, die ich gerne mag, wird heute schon gar nicht mehr gespielt.
Vielleicht nehm ich solche Alben mal auf, wenn ich reich bin“, sagt er in
weiser Voraussicht. Vielseitigkeit ist eine von Gilmore‘s Stärken. In der
Filmgeschichte hat er sich jedenfalls auch schon seinen Platz erobert, indem er
in Red, Hot + Country (1995) und in The Big Lebowsky (1998) seine Auftritte
hatte.
Ob Jimmie Dale
Gilmore jemals ein Rockefeller wird oder nicht. Seine Stimme und Lieder sind
von einer solchen Reinheit, dass die Zuhörer am liebsten die Bühne stürmen und
seinen Gitarrenkoffer mit Geld überschwemmen möchten, wie das früher bei
Strassenmusikanten üblich war. Wenn man Gilmore darauf anspricht, meint er schmunzelnd : „Das ist eine gute Angewohnheit, eine sehr
gute sogar.“