Portrait Jennifer Weatherly

© November 1997 / Bruno Michel

 

Vor gut drei Jahren verkaufte sie ihren gesamten Besitz in den USA, liess ihren mittlerweile 21jährigen Sohn zurück und zog mit ihrem Mann aus dem sonnigen Kalifornien in die Schweiz. Ein solcher Entscheid – wer kennt nicht den wettermässigen Unterschied zwischen den beiden Orten – braucht einen starken Charakter und Mut. Beides Eigenschaften, welche Jennifer Weatherly auszeichnen.

 

Mit ihren 43 Jahren – sie ist stolz auf ihr Alter und hat keine Mühe damit, dass man es nennt – versrpüht die attraktive Sängerin mit jedem Wort, mit jeder Geste, Mengen von Energie. Diese Energie war immer schon ein Teil von ihr und musste kanalisiert werden. Mit 6 Jahren begann sie zu reiten und war bald an Rodeos in der typischen Girlsportart, dem Barrel Racing, zu sehen. Ihr war das zuwenig Action. Folglich wurde sie eine der ersten Frauen in der Disziplin Team Roping.

 

Aufgewachsen in Burbank, CA, etwa 10 Meilen nordöstlich von Los Angeles, hatte Jenny schon als Kind Kontakt mit dem Showgeschäft. Ihre Eltern führten eine erfolgreiche Agentur für Künstlervermittlung, Chartwell Artists, und brachten in den Sechziger Jahren Bands wie die Beatles oder die Rolling Stones in die USA. Trotzdem dauerte es seine Zeit, bis Jenny sich auch in eine eigene Karriere als Sängerin wagte. Den ersten möglichen Plattenvertrag schmiss sie im Alter von 15, weil sie sich noch nicht reif genug fühlte. Wie kam das ?

 

Als Teen besuchte sie ein Internat in Gstaad. Dort schrieb sie in ihrer Freizeit Songs für ihre Mutter und schickte ihr die Bandaufnahmen nach Hause. Mom spielte das Material einem befreundeten Produzenten vor, und der war so begeistert, dass er über sein Londoner Büro einen Session Termin organisierte. Jenny verliess die Schule einen Monat vorher, flog nach England, ging ins Studio und… liess ihre erste Karrierechance platzen. Sie fühlte sich nach dem Aufenthalt in der Schweiz nicht als Sängerin, sondern wollte zurück zu ihren Pferden in Kalifornien.

 

Durch die Rodeos, an denen sie teilnahm, kam sie zur  Country & Western Music. Jenny : „Wir waren im Westen, also mehr „Western“. Nashville ist der „Country“ Teil, dort im Osten.“ Auch mit einer weiteren Action-Sportart kam sie an den Rodeos ebenfalls in Kontakt. Einige ihrer Roping-Kollegen aus der Gegend von Los Angeles waren Stuntmen. So kam sie als Stuntwoman zum Film Comes A Horseman. Sie sprang von brennenden Gebäuden und stürzte drehbuchgemäss vom Pferd. Ihr einziges Problem war, dass sie als Double von Jane Fonda etwas kleiner war, also musste sie erhöhte Stiefel tragen, woran sie sich heute noch mit einem Lachen erinnert. „Du hättest mich sehen sollen, ich bin mit diesen Stiefeln herumstolziert wie ein Kranich.” Als dann ihr Kind zur Welt kam, fand sie diese Arbeit zu gefährlich und konzentrierte sich wieder auf die Rodeos.

 

Bald beschloss sie, sich nur noch um ihren Sohn zu kümmern. Als er zwölf Jahre alt war, zog die Familie nach Nashville. Jenny arbeitete als Session Musikerin, organisierte Backup Singers und überliess das Touren ihrem Mann, Willy Wainwright, der heute vielen Lesern als Spitzenfiddler unter anderem aus Jennifer‘s Band bekannt ist. Auch in den USA war er ein gefrager Musiker. Er tourte mit Showgrössen wie Ricky van Shelton, Eddy Raven oder Patty Loveless.

 

Eines Tages kam ein Anruf : „Der deutsche Sänger Peter Hoffmann ist hier und produziert ein Album mit Elvis-Presley Songs. Er will jemanden, der den Background Chor arrangiert.“ Jenny : „Ich mag Elvis‘ Musik, also sagte ich zu. Die Zusammenarbeit klappte hervorragend und Peter bat mich, ihn auf seiner Album-Promotion Tour in Deutschland zu begleiten. Ich erklärte ihm, dass ich nicht toure, wegen meinem Sohn. Peter überredete mich schliesslich doch. Also traf ich ein Arrangement mit Willy. Er blieb zu Hause und ich ging für drei Monate nach Deutschland. Auf dieser Tour hatten wir ab und zu nach den Auftritten Jam Sessions. So bekam Peter mit, dass einige von uns Country Music mochten. Er bat mich, in seiner Show einen 15-minütigen Country-Block einzulegen. Damit konnte ich meine Musik dem europäischen Publikum vorstellen. Aus dieser erfolgreichen Tour wurden in den folgenden Jahren noch zwei weitere. Peter Hoffmann kam zurück nach Nashville, nahm ein Country-Album auf und wir gingen wieder nach Deutschland und machten die „Peter Hoffmann Country Roads Tour“. Dort merkte ich, dass sich Country Music grosser Beliebtheit erfreute. Mit dem Lebensstil in Europa konnte ich mich anfreunden. Also fasste ich einen Entscheid : Jetzt oder nie.“

 

Zurück in Nashville, ihr Junge war mittlerweile fast 18 Jahre alt, hatte sie eines Tages Willy am Telefon, der gerade für sechs Wochen auf Tournee war. „Was würdest Du davon halten“, fragte sie ihn, „wenn wir hier alles verkaufen und in die Schweiz ziehen ?“ Willy war sprachlos. Sie meinte „Nun, Du hast ein paar Wochen Zeit, Dir die Sache in aller Ruhe zu überlegen. Wenn Du zurück bist, reden wir nochmal darüber.“ Nach rund sechs Monaten war es dann soweit, Jenny und Willy zogen nach Genf. Warum gerade die Schweiz und warum Genf ? Jenny : „Von der High School her sprach ich ein wenig französisch und die Schweiz ist mitten in Europa.“ So einfach können Strategien also sein.

 

Hatte Jenny keine Angst, dass die Beziehung zu Willy sich plötzlich verändern könnte, nachdem sie sich jahrelang immer nur mit grossen Zeitabständen gesehen hatten und nun plötzlich täglich beisammen waren ? Jenny : „Manchmal dachte ich : Vielleicht machst Du den grössten Fehler Deines Lebens. Von unserm grossen Haus in eine kleine Wohnung in der Stadt zu ziehen, tagtäglich miteinander herumziehen usw. Wenn das nur gut geht. Es passierte etwas völlig anderes als befürchtet. Wir sind uns noch näher gekommen, unsere Beziehung ist super. Er ist für mich Bruder, Lover, Ehemann und Freund gleichzeitig. Und ich bin dasselbe für ihn. Grossartig. Keine Ahnung, wie das funktioniert hat, aber so ist es.

 

Am 11. Januar 1994 trafen sie in der Schweiz ein. Die einzigen Leute, die sie hier kannten, waren Kirby Bivans (J. Kirby‘s Band) und seine Frau Ursula. Das reichte als Anfang. Jenny : „Mindestens hatten wir jemanden, den wir fragen konnten, wie man Butter kauft oder das Telefon anschliesst.“ Rund sechs Wochen später trafen sie dann einen Mann, der seit über 25 Jahren erfolgreich Geschäfte mit Amerikanern macht : Cowboy Kurt oder Kurt Hann, der in Genf den bekanntesten Westernstore der Romandie mit Erfolg führt. Nach vielen Gesprächen bat ihn Jenny, sie zu managen. Originalton Kurt : „Ich bin kein Artist-Manager.” Originalton Jenny : „Doch, Du bist es, Du hast Herz, Ausdauer und Du liebst diese Musik.“ Damit war die Diskussion beendet und Kurt Hann hatte eine neue „Freizeit“-Beschäftigung.

 

Heute sind Jennifer Weatherly, ihr Mann Willy Wainwright und ihr Manager, Kurt Hann wie die drei Musketiere : Ein klares Ziel vor Augen, beharrlich darauf hin arbeiten, den Erfolg nicht über‘s Knie brechen wollen und gemeinsam füreinander einstehen. Sie gründeten unter anderem die Firma JK-Records, unter deren Label Jenny‘s erstes Album, Lucky Day, 1995 erschien. Der Verkauf desselben erfolgte ebenfalls im Team, nämlich an den Konzerten. Mittlerweile haben sie zwar in Deutschland, Spanien oder Belgien Absatzkanäle gefunden, aber diese Firmen und Händler wissen auch, was in Europa Tatsache ist : Trotz den zahllosen Country Fans ist der Marktanteil von Country Music immer noch verschwindend klein. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach professionellen Absatzkanälen.

 

Mittlerweile ist die zweite Produktion, In The Name Of Love, fertiggestellt. Hier interessiert sich jetzt ein grosser Distributor für den Absatz des Albums in der Schweiz. Jenny : „In der Schweiz beginnen sich die Türen für mich zu öffnen. Grosse Künstler, wie John Brack oder Suzanne Klee halfen mir ebenfalls, gewisse Kontakte zu knüpfen, dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

In Nashville, wurden die grafischen Arbeiten und das Foto-Shooting für ihr neues Album erledigt. „Ich freue mich, dass ich mit denjenigen Grafikern und Fotografen zusammenarbeiten kann, die auch Reba McEntire‘s Alben gestalten.“ Produziert wurde das neue Werk wiederum von Clay Blaker, den sie durch Kurt Hann hier in der Schweiz kennengelernt hat. Der „Long Tall Texan“ ist vielen Country Freunden in unserem Land bestens bekannt. Clay‘s Musiker, die Texas Honky Tonk Band, spielen auf dem Album mit, damit ist ein weiterer Erfolg von der instrumentalen Seite her sichergestellt.

 

Musikalisch bietet Jenny auf dem neuen Album Songs von Rockabilly bis Gospel. Aber auch gefühlvolle Balladen und der typische Honky-Tonk-Sound kommen nicht zu kurz. Ein weiteres Anliegen von Jenny ist es, grosse Songs aus früheren Zeiten am Leben zu erhalten. Sie sagt : „Du musst die jüngeren Leute auch an älteres Material heranführen. Es gibt so viele grossartige Songs von älteren, grossen Künstlern, die ich sehr schätze. Ich habe zum Beispiel Lonely Street von Tammy Wynette neu aufgenommen oder Lonesome Train, einen Song aus den fünfziger Jahren.“

 

Welche Frage, die hier noch nicht gestellt wurde, würde Jenny sich in einem Interview selbst stellen? Sie zögert keinen Moment. „Warum trete ich nicht in Western-Kluft auf ? Ich sage Dir warum. Ich bin „Western“, bin so aufgewachsen, habe so gelebt, meine Einstellung ist so. Ich brauche kein Label an meiner Brust, das sagt „Cowgirl“. Die Interviewer fragen mich, was ich privat mag. Ich sage, dass ich viel Gymnastik treibe. Dann kommt die Antwort, dass dies doch eher niemanden interessiert. Warum fragen sie mich dann überhaupt ? Das macht mich wirklich sauer. Ich will, dass die Leute wissen, womit ich meine Zeit ausserhalb des Musikgeschäfts verbringe, wie ich mich fit und gesund halte. Dies ist Teil meines Lebens. Es ist wichtig, dass Du zu Deiner Gesundheit schaust und etwas dafür tust.“

 

Jennifer Weatherly, eine starke Frau mit einer starken Persönlichkeit und einer ebensolchen Stimme. Wir wünschen ihr für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg.