Interview mit Deborah Allen, Albisgütli 2004

© February 2004 / Bruno Michel

 

Tammy Wynette, Patty Loveless, Tanya Tucker, Conway Twitty, Vern Gosdin, usw. Die Liste der Stars, die einen Song von Deborah Allen aufgenommen haben, ist endlos. Über eintausend Lieder hat die erfolgreiche Künstlerin bis heute geschrieben. Meine Interviews dauern in der Regel 15-20 Minuten. Als wir nach 45 Minuten fertig waren, wunderten wir uns beide, wie schnell die Zeit vergangen war.

 

bm: Deborah, Die Dinge haben sich seit deinem 90-Dollar Job als Background Sängerin für Roy Orbison verändert. Wie hat der Erfolg dein Leben beeinflusst?

 

DA: Nicht über Nacht. Es war eine lange Reihe von kleinen Schritten. Ich bin heute in der Lage, die Welt zu bereisen und das zu tun, was ich am meisten liebe. Wenn es ein Ereignis gab, dass den Erfolg beschleunigt hat, war es wohl mein Song Baby I Lied. Der Weg zum Erfolg war für mich eher eine Achterbahn als ein gerader Aufstieg. Du schätzt das Erreichte auf diese Weise wesentlich mehr. Wenn du im Tal und im Schatten stehst und diese Zeit intelligent nutzt, entwickelst du in dieser Phase weitere Ideen für den nächsten Aufstieg in die Sonne.

 

bm: Country Music hat heute so viel mit Marketing zu tun, dass ehrliche Musik kaum mehr Aussicht auf Erfolg hat. Wie überlebst du in diesem Geschäft und welchen Rat gibst du jenen, die heute beginnen? Soll jeder Popstar werden und einfach nur gut aussehen?
DA: Es ist das Wichtigste, auf dein Herz zu hören und deine innersten Gefühle ernst zu nehmen. Die Marketing Trends sind eben Trends. Sie kommen und gehen. Von verschiedenen Musikrichtungen beeinflusst zu werden, ist inspirierend. Aber du musst diese Einflüsse durch dein Herz leiten und das daraus machen, was du fühlst. Es ist interessant, dass du diese Marketing Geschichte erwähnst. Ich denke, es hat der Musik schon etwas von ihrer Wärme genommen. Aber wie viele meiner Freunde, die über die Jahre ihre Karriere aufrecht erhalten haben, denke auch ich, dass es nur funktioniert, wenn du dir selber treu bleibst. Es wäre manchmal sicher vorteilhaft, einfach auf diesen Zug auf zu springen. Aber ich bin wie ich bin.

 

bm: Wie beschreibst du deine Musik jemandem, der dich noch nie gehört hat – falls es solche Leute überhaupt noch gibt?

DA: Igendwo zwischen Memphis und Nashville. Ich bin geboren und aufgewachsen in Memphis, der Heimat des Blues und des King of Rock’n’Roll. Aber meine Lektionen habe ich in Nashville gelernt. Shel Silverstein war so etwas wie ein Mentor. Von einem Moment zum andern hat er mein Leben verändert...

 

bm: ...darauf kommen wir noch. Als wir uns letztes Jahr in Interlaken sahen hast du viele Coversongs gespielt und weniger eigenes Material. Wie wählst du Lieder für deine Auftritte aus?

DA: Ich habe dort diese Songs gewählt, weil ich weiss, dass es in der Schweiz viele Fans gibt, welche diese alten, grossartigen Lieder mögen. Also sah ich eine Möglichkeit, den Leuten zu zeigen, womit ich aufgewachsen bin. Zudem haben mich die Bellamy Brothers ermutigt, diese Klassiker zu bringen. Von meinen über tausend eigenen Songs wurden etwa dreihundert von andern Künstlern aufgenommen. Eine Wahl zu treffen ist somit immer schwierig.

 

bm: Lieder wie Am I Good For One More Memory oder Is It Love Yet sind die Favoriten vieler Fans. Sind deine Songs mehrheitlich Fiktion oder Wahrheit?

DA: Sie entspringen meist einem persönlichen Erlebnis. Aber ich baue auch fiktive Teile ein. Delta Dreamland ist so eine wahre Geschichte. Der Song erzählt, wie sich meine Eltern kennen und lieben gelernt haben. Aber auch wenn du nicht wüsstest, dass es sich um meine Eltern handelt, hättest du immer noch einen Bezug zu dem Lied, weil es den Zyklus des Lebens beschreibt.

 

bm: Du hast vorhin erwähnt, dass Shel Silverstein dich dazu inspiriert hat, Lieder zu schreiben. Stimmt es, dass du vorher nicht geschrieben hast?
DA: Klar habe ich ab und zu einige Zeilen kreiert. Aber ich hätte mich nie als Schreiberin bezeichnet. Ich kam gerade von einer Europatournee mit Tennessee Ernie Ford zurück. Damals arbeitete ich noch im Opryland, sang während der Happy Hour. Shel Silverstein und Waylon Jennings waren gute Freunde und hingen dort öfters rum. Als Shel mich singen hörte, lobte er meine Stimme, meinte aber gleichzeitig, dass es da draussen hunderte grossartige Sänger und Sängerinnen gäbe. Er fragte mich, ob ich auf der Bühne happy sei, und ich sagte ja. Dann fragte er, ob dieses Gefühl nach dem Auftritt weg wäre. Wieder sagte ich ja. Darauf meinte er: „Schreib Lieder, dann bleibt dieses Gefühl für immer.“ Also setzte ich mich hin und schrieb meinen ersten Song, den ich danach Shel vorstellte. Pass auf. (Anm.: sie singt mir das Lied vor). Klar, das ist kein kommerzieller Song. Aber Shel gefiel er und er ermutigte mich, weiter zu machen.

 

bm: Ist es nicht gerade das, was wir vorhin mit Marketing gemeint haben? Solche Songs haben schon vom Textinhalt her heute keine Chance mehr. Damals waren doch Songs, zum Beispiel von George Jones, genau solcher Art erfolgreich. Wann kommen diese Zeiten zurück, vielleicht nie?
DA: Das waren eben Klassiker. Aber die Musik ist komplexer und komplizierter geworden. Vielleicht bin ich mit schuldig. Wir versuchen alle, immer noch bessere, noch schwierigere Dinge zu tun. Ich erzähl dir eine verrückte Geschichte. Ich sass beim Zahnarzt, kriegte Lachgas und hörte dazu diese komische Musik. Das Lachgas brachte mich irgendwie auf eine andere Ebene, weit weg, viel offener für Einflüsse. Plötzlich verstand ich, dass es Leute gibt, die surreale und komplexe Songs schreiben, welche vielleicht ein oder zwei Leute verstehen. Ich mag es aber lieber einfach.

 

bm: Das führt mich zu einer ungeplanten Frage: Würdest du eher ein Lied schreiben, dass nach hundert Jahren immer noch gespielt wird, oder eines, das sich eine Million mal verkauft?

DA: Nun, du meinst Songs wie Amazing Grace oder (singt wieder) What Would I Do oder Crazy. Ich würde persönlich lieber einen schreiben, der hundert Jahre hält. Aber jetzt wieder: Marketing. Wenn der Song sich nicht eine Million mal verkauft, ist er auch in hundert Jahren nicht mehr da (lacht). Es gibt so viele meiner Songwriter Freunde, die richtige Juwelen von Liedern geschrieben haben, die noch kein Mensch ausser ihnen gehört hat.

 

bm: Viele der Namen, die du gerade erwähnt hast, Red Lane, Sonny Throckmorton, Bobby Braddock, sind seit den 70ern oder früher aktiv. Genau diese Songs sollten wieder erfolgreich sein. Vielleicht passt sich ja die Musik dem aktuellen Trend der Autobranche an und bringt wieder die alten Werte.

DA: Es freut mich, dass du das auch so siehst. Wie ich deiner Karte entnehme, bist du ein Mitglied der CMA. Ihr solltet keine Mühe scheuen, eure Meinung den Verantwortlichen auch mit zu teilen. Vielleicht erreicht man dadurch eine Veränderung.

 

bm: Ich weiss, dass dies viele von uns machen. Aber solange die aktuelle Richtung Erfolg verspricht, glaube ich nicht, dass die ihre Politik ändern werden. Andererseits siehst du die Plattenverkäufe in den Keller gehen.

DA: Genau, und ein weiteres Problem sind die Radios. Es gibt wenige grosse Netzwerke, die alles vorschreiben und immer weniger kleine Stationen, bei denen ein Moderator keine Chance mehr hat, das zu spielen, was ihm persönlich gefällt. Man sollte sich nicht in einen Rahmen pressen lassen, auch wenn es finanziell einfacher wäre, sich einzugliedern.

 

bm: Lass uns von diesem Abstecher wieder zu den Fragen zurück kehren....

DA: ...Ich mag solche Diskussionen. Leider kann ich sie bei Interviews selten führen.

 

bm: Songwriter haben mir schon erzählt, dass ihre Lieder wie Kinder für sie sind. Dann bist du also die Mutter einer Kleinstadt. Wo nimmst du immer noch diese Inspirationen her?

DA: Nun, das Leben verändert sich. Vielleicht heisst der Hit morgen (singt lauthals) And My Computer Broke Today... (Gelächter). Also, was ich meine ist, du findest immer wieder neue, aus dem Leben gegriffene Ideen.

 

bm: Deine Lieder sind von sehr vielen Künstlern aufgenommen worden. Gibt es noch jemanden, von dem du dir wünschst, dass er deine Songs interpretiert?
DA: Nun, ja. Ray Charles oder Aretha Franklin, die singen tief aus der Seele. Dolly Parton? Vielleicht nicht, sie ist selber eine zu grossartige Songwriterin. Lee Ann Womack...ja, es gibt schon noch einige. Aber unsere Diskussion von vorher erinnert mich noch an etwas. Eigentlich war mein grösster Hit war erst ein Pop Song bevor er zum Country Hit wurde, Baby I Lied. Es hat wohl mit der Veränderung der Zeit zu tun. Heute wär dies direkt ein Country Hit.

 

bm: Du hast einige Erfahrung in der Schauspielerei. Ist das für dich eine Option für die Zukunft?

DA: Definitiv. Ich habe auch Anfragen für Fernseh-Serien. Es wäre ein grossartiger Weg, um die Radios zu umgehen. Die Leute würden dich sehen und hören, obwohl du vielleicht gerade nicht „in“ bist am Radio. Ich will aber auch dieses kreative Element ausleben.

 

bm: Wenn du Deborah Allen interviewen würdest, welche Frage stellst du ihr, die ich nicht gestellt habe?

DA: schon wieder eine dieser Fragen. Ich liebe es. Kein Wunder, wenn die Zeit so schnell vergeht (Anm.: Ehemann Raymond sitzt seit einiger Zeit im Hintergrund und wartet auf das Ende und das Nachtessen). Ich würde fragen: Wann kommst du das nächste Mal in die Schweiz. Und ich würde antworten: Hoffentlich nächste Woche.

 

bm: Gerne, dann könnten wir dieses Gespräch weiter führen. Herzlichen Dank für das interessante Interview.