Tammy Wynette,
Patty Loveless, Tanya
Tucker, Conway Twitty, Vern Gosdin, usw. Die Liste der
Stars, die einen Song von Deborah Allen
aufgenommen haben, ist endlos. Über eintausend Lieder hat die erfolgreiche
Künstlerin bis heute geschrieben. Meine Interviews dauern in der Regel 15-20
Minuten. Als wir nach 45 Minuten fertig waren, wunderten wir uns beide, wie
schnell die Zeit vergangen war.
bm:
Deborah, Die Dinge haben sich seit deinem 90-Dollar Job als Background Sängerin
für Roy Orbison verändert. Wie hat der Erfolg dein
Leben beeinflusst?
DA: Nicht über Nacht. Es
war eine lange Reihe von kleinen Schritten. Ich bin heute in der Lage, die Welt
zu bereisen und das zu tun, was ich am meisten liebe. Wenn es ein Ereignis gab,
dass den Erfolg beschleunigt hat, war es wohl mein Song Baby I Lied. Der
Weg zum Erfolg war für mich eher eine Achterbahn als ein gerader Aufstieg. Du
schätzt das Erreichte auf diese Weise wesentlich mehr. Wenn du im Tal und im
Schatten stehst und diese Zeit intelligent nutzt, entwickelst du in dieser
Phase weitere Ideen für den nächsten Aufstieg in die Sonne.
bm:
Country Music hat heute so viel mit Marketing zu tun, dass ehrliche Musik kaum
mehr Aussicht auf Erfolg hat. Wie überlebst du in diesem Geschäft und welchen
Rat gibst du jenen, die heute beginnen? Soll jeder
Popstar werden und einfach nur gut aussehen?
DA: Es ist das Wichtigste, auf dein Herz zu
hören und deine innersten Gefühle ernst zu nehmen. Die Marketing Trends sind
eben Trends. Sie kommen und gehen. Von verschiedenen Musikrichtungen
beeinflusst zu werden, ist inspirierend. Aber du musst diese Einflüsse durch
dein Herz leiten und das daraus machen, was du fühlst. Es ist interessant, dass
du diese Marketing Geschichte erwähnst. Ich denke, es hat der Musik schon etwas
von ihrer Wärme genommen. Aber wie viele meiner Freunde, die über die Jahre
ihre Karriere aufrecht erhalten haben, denke auch ich,
dass es nur funktioniert, wenn du dir selber treu bleibst. Es wäre manchmal
sicher vorteilhaft, einfach auf diesen Zug auf zu springen. Aber ich bin wie
ich bin.
bm:
Wie beschreibst du deine Musik jemandem, der dich noch nie gehört hat – falls
es solche Leute überhaupt noch gibt?
DA: Igendwo
zwischen Memphis und Nashville. Ich bin geboren und aufgewachsen in Memphis,
der Heimat des Blues und des King of Rock’n’Roll.
Aber meine Lektionen habe ich in Nashville gelernt. Shel
Silverstein war so etwas wie ein Mentor. Von einem
Moment zum andern hat er mein Leben verändert...
bm: ...darauf kommen wir noch. Als wir uns letztes Jahr in
Interlaken sahen hast du viele Coversongs gespielt und weniger eigenes
Material. Wie wählst du Lieder für deine Auftritte aus?
DA: Ich habe dort diese Songs gewählt, weil ich weiss, dass es in
der Schweiz viele Fans gibt, welche diese alten, grossartigen Lieder mögen.
Also sah ich eine Möglichkeit, den Leuten zu zeigen, womit ich aufgewachsen
bin. Zudem haben mich die Bellamy Brothers ermutigt, diese Klassiker zu
bringen. Von meinen über tausend eigenen Songs wurden etwa dreihundert von
andern Künstlern aufgenommen. Eine Wahl zu treffen ist somit immer schwierig.
bm: Lieder wie Am I Good For One More Memory oder Is It Love Yet sind
die Favoriten vieler Fans. Sind deine Songs mehrheitlich Fiktion oder Wahrheit?
DA: Sie entspringen meist
einem persönlichen Erlebnis. Aber ich baue auch fiktive Teile ein. Delta Dreamland ist so eine wahre Geschichte. Der Song
erzählt, wie sich meine Eltern kennen und lieben gelernt haben. Aber auch wenn
du nicht wüsstest, dass es sich um meine Eltern handelt, hättest du immer noch
einen Bezug zu dem Lied, weil es den Zyklus des Lebens beschreibt.
bm:
Du hast vorhin erwähnt, dass Shel Silverstein
dich dazu inspiriert hat, Lieder zu schreiben. Stimmt es, dass du vorher nicht
geschrieben hast?
DA: Klar habe ich ab und zu einige Zeilen
kreiert. Aber ich hätte mich nie als Schreiberin bezeichnet. Ich kam gerade von
einer Europatournee mit Tennessee Ernie Ford zurück. Damals arbeitete ich noch
im Opryland, sang während der Happy Hour. Shel Silverstein
und Waylon Jennings waren gute Freunde und hingen
dort öfters rum. Als Shel mich singen hörte, lobte er
meine Stimme, meinte aber gleichzeitig, dass es da draussen hunderte
grossartige Sänger und Sängerinnen gäbe. Er fragte mich, ob ich auf der Bühne happy sei, und ich sagte ja. Dann fragte er, ob dieses
Gefühl nach dem Auftritt weg wäre. Wieder sagte ich ja. Darauf meinte er:
„Schreib Lieder, dann bleibt dieses Gefühl für immer.“ Also setzte ich mich hin
und schrieb meinen ersten Song, den ich danach Shel
vorstellte. Pass auf. (Anm.: sie singt mir das Lied vor). Klar, das ist kein
kommerzieller Song. Aber Shel gefiel er und er
ermutigte mich, weiter zu machen.
bm:
Ist es nicht gerade das, was wir vorhin mit Marketing gemeint haben? Solche
Songs haben schon vom Textinhalt her heute keine Chance mehr. Damals waren doch
Songs, zum Beispiel von George Jones, genau solcher Art erfolgreich. Wann
kommen diese Zeiten zurück, vielleicht nie?
DA: Das waren eben Klassiker. Aber die Musik
ist komplexer und komplizierter geworden. Vielleicht bin ich mit schuldig. Wir
versuchen alle, immer noch bessere, noch schwierigere Dinge zu tun. Ich erzähl
dir eine verrückte Geschichte. Ich sass beim Zahnarzt, kriegte Lachgas und
hörte dazu diese komische Musik. Das Lachgas brachte mich irgendwie auf eine
andere Ebene, weit weg, viel offener für Einflüsse. Plötzlich verstand ich,
dass es Leute gibt, die surreale und komplexe Songs schreiben, welche
vielleicht ein oder zwei Leute verstehen. Ich mag es aber lieber einfach.
bm:
Das führt mich zu einer ungeplanten Frage: Würdest du eher ein Lied schreiben,
dass nach hundert Jahren immer noch gespielt wird, oder eines, das sich eine
Million mal verkauft?
DA: Nun, du meinst Songs
wie Amazing Grace oder (singt wieder) What Would I Do
oder Crazy. Ich würde persönlich lieber einen
schreiben, der hundert Jahre hält. Aber jetzt wieder: Marketing. Wenn der Song
sich nicht eine Million mal verkauft, ist er auch in
hundert Jahren nicht mehr da (lacht). Es gibt so viele meiner Songwriter Freunde, die richtige Juwelen von Liedern
geschrieben haben, die noch kein Mensch ausser ihnen gehört hat.
bm:
Viele der Namen, die du gerade erwähnt hast, Red Lane,
Sonny Throckmorton, Bobby Braddock, sind seit den
70ern oder früher aktiv. Genau diese Songs sollten wieder erfolgreich sein.
Vielleicht passt sich ja die Musik dem aktuellen Trend der Autobranche an und
bringt wieder die alten Werte.
DA: Es freut mich, dass
du das auch so siehst. Wie ich deiner Karte entnehme, bist du ein Mitglied der
CMA. Ihr solltet keine Mühe scheuen, eure Meinung den Verantwortlichen auch mit
zu teilen. Vielleicht erreicht man dadurch eine Veränderung.
bm:
Ich weiss, dass dies viele von uns machen. Aber solange die aktuelle Richtung
Erfolg verspricht, glaube ich nicht, dass die ihre Politik ändern werden.
Andererseits siehst du die Plattenverkäufe in den Keller gehen.
DA: Genau, und ein weiteres Problem sind die Radios. Es gibt wenige
grosse Netzwerke, die alles vorschreiben und immer weniger kleine Stationen,
bei denen ein Moderator keine Chance mehr hat, das zu spielen, was ihm
persönlich gefällt. Man sollte sich nicht in einen Rahmen pressen lassen, auch
wenn es finanziell einfacher wäre, sich einzugliedern.
bm: Lass uns von diesem Abstecher
wieder zu den Fragen zurück kehren....
DA: ...Ich mag solche Diskussionen. Leider kann ich sie bei
Interviews selten führen.
bm: Songwriter haben mir schon erzählt,
dass ihre Lieder wie Kinder für sie sind. Dann bist du also die Mutter einer
Kleinstadt. Wo nimmst du immer noch diese Inspirationen her?
DA: Nun, das Leben
verändert sich. Vielleicht heisst der Hit morgen (singt lauthals) And My
Computer Broke Today...
(Gelächter). Also, was ich meine ist, du findest immer wieder neue, aus dem
Leben gegriffene Ideen.
bm: Deine Lieder sind von sehr vielen Künstlern aufgenommen worden.
Gibt es noch jemanden, von dem du dir wünschst, dass er deine Songs
interpretiert?
DA: Nun, ja. Ray Charles
oder Aretha Franklin, die singen tief aus der Seele.
Dolly Parton? Vielleicht nicht, sie ist selber eine
zu grossartige Songwriterin. Lee Ann Womack...ja, es gibt schon noch einige. Aber unsere
Diskussion von vorher erinnert mich noch an etwas. Eigentlich war mein grösster
Hit war erst ein Pop Song bevor er zum Country Hit wurde, Baby I Lied.
Es hat wohl mit der Veränderung der Zeit zu tun. Heute wär
dies direkt ein Country Hit.
bm:
Du hast einige Erfahrung in der Schauspielerei. Ist das für dich eine Option
für die Zukunft?
DA: Definitiv. Ich habe auch Anfragen für Fernseh-Serien. Es wäre ein
grossartiger Weg, um die Radios zu umgehen. Die Leute würden dich sehen und
hören, obwohl du vielleicht gerade nicht „in“ bist am Radio. Ich will aber auch
dieses kreative Element ausleben.
bm:
Wenn du Deborah Allen interviewen würdest, welche Frage stellst du ihr, die ich
nicht gestellt habe?
DA: schon wieder eine dieser Fragen. Ich liebe es. Kein Wunder,
wenn die Zeit so schnell vergeht (Anm.: Ehemann Raymond sitzt seit einiger Zeit
im Hintergrund und wartet auf das Ende und das Nachtessen). Ich würde fragen:
Wann kommst du das nächste Mal in die Schweiz. Und ich würde antworten:
Hoffentlich nächste Woche.
bm: Gerne, dann könnten wir dieses Gespräch weiter führen.
Herzlichen Dank für das interessante Interview.