bm: Lynn,
wie würdest Du Deine Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat ?
LA: Als
“traditional Zydeco”. Eigentlich bekannt geworden ist diese Musik durch die
Kreolen in Louisiana in den frühen 20er Jahren unseres Jahrhunderts. Eine
Mischung aus Blues, französischem Gesangsgut und afrikanischen Einflüssen.
Früher wurde gerade bei Liedern mit stark afrikanischem Einfluss in einer Art a
capella gesungen, mit irgendwelchen Gegenständen als Rhythmus-Instrument, vom
Kochtopf über Waschbretter oder Löffel.
bm: Auch
wenn Du seit rund 10 Jahren Zydeco spielst, es gab eine Zeit, in der Du auch Country
gespielt hast. Diese Musik befindet sich gegenwärtig auf einer phänomenalen
Erfolgskurve. Warum glaubst Du, ist Country Musik heute so populär
?
LA: Nun, Country ist wie Blues. Es gibt diese Musikrichtungen schon sehr lange und sie
haben ein breit abgestütztes Publikum. Auch Zydeco hat Country-Elemente, das
macht diese Musik interessant, es ist wirklich eine gute Mischung. Früher habe
ich, wie Du richtig sagst, ebenfalls eine Weile Country Musik gespielt. Gegenüber
früher ist heute sicher die ausgefeilte Aufnahmetechnik mit ein
Grund, dass sehr viele junge Leute Country spielen.
bm: Früher
kannten wir diese Musik als Country & Western Music. Was denkst Du, ist mit
dem Western Teil passiert.
LA: Leute
wie Gene Autry und Tex Ritter sind wohl irgendwie aus der Mode gekommen. Früher
gab es überall die grossen Country & Western Radio Shows, so auch in Shreveport,
Louisiana die “Louisiana Hey Ride”. Dann natürlich in Nashville die Grand Ole
Opry und viele andere Anlässe, welche den Musikern dieses Genres Gelegenheit
boten, am Radio aufzutreten.
bm: Hast
Du einen Lieblingskünstler ?
LA: Ray
Charles. Er spielt verschiedene Musikrichtungen, darunter auch Country. Er war
für mich immer ein Vorbild. Ich habe in den 35 Jahren meiner Karriere Blues,
Jazz, Country, Gospel gespielt. Zydeco eigentlich erst seit 1988.
bm: Auf
was schaust Du, wenn Du Material für ein neues Album auswählst
?
LA: Ich will
vielseitig sein. Ich suche mir traditionelle Songs aus. Dann habe ich auch
schon französische Kinderreime aufgenommen. Auf meinem letzten Album, das in
der Schweiz von Blues House vertrieben wird habe ich einen solchen Kinderreim,
den meine Grossmutter mir früher immer vorsang. Dann suche ich Lieder mit
Inhalt, solche, die dem Zuhörer etwas mitteilen. Und natürlich Songs, zu denen
die Leute tanzen können. Alles in allem, wie gesagt, Vielseitigkeit.
bm: Garth
Brooks sagte einmal “Ein Lied ist eine Drei-Minuten-Gelegenheit, der Welt etwas
mitzuteilen.” Was ist Deine “Mitteilung an die Welt” ?
LA: Ich
möchte den Leuten, vor allem den jungen Leuten, mitteilen, dass Leben mehr ist,
als nur überleben. Wenn Du die aktuellen Gesellschaftsprobleme mit Drogen usw.
ansiehst, dann sehen viele Menschen den Sinn des Lebens offenbar nicht. Also
singe ich über das Leben, über das, was einem wirklich passiert. Leute sollten
einander helfen. Früher, wenn ein Nachbar krank war, haben die andern geholfen,
seine Ernte ebenfalls mit einzubringen. Und um die Arbeit in Vergnügen
umzuwandeln, haben die Menschen während der Arbeit gesungen. Mit ihren
Werkzeugen haben sie sozusagen im Takt gearbeitet, dies gab den Rhythmus. Und
genauso möchte ich mit meiner Musik die Leute zusammenbringen.
bm: Wer
hat Deine Karriere bis jetzt am meisten beinflusst ?
LA: Ray Charles und Sam Cook. Dann mag ich Leute wie Ronnie Milsap, Keith Whitley oder
Conway Twitty. Alles Künstler, bei denen die Musik aus dem Herzen kommt. In den
Liedern dieser Sänger kommen oft ebenfalls Dinge aus dem Leben vor. Genauso,
wie ich es mit meiner Musik versuche.
bm: Wohin
soll Dich Deine Musik in Zukunft bringen ?
LA: Nun, ich möchte einfach, dass die Leute
anerkennen, dass ich mein Leben lang hart gearbeitet habe, um da zu sein, wo
ich heute bin. Seit über 35 Jahren ernährt mich die Musik. Ich will das
Publikum erreichen, und ich hoffe, dass ich dies auch künftig tun kann.
bm: Was
in Deiner Karriere hat Dich bisher am meisten befriedigt ?
LA: Um
ehrlich zu sein, als ich 1991 die Gelegenheit hatte, in Europa zu touren. Ich
finde, dass die Europäer nicht nur meine Musik mögen, sondern auch anerkennen,
wieviel Aufwand dahinter steckt. Im Gegensatz zu meiner Heimat nimmt man sich
hier die Zeit und liest über einen Künstler, informiert sich. Als ich das erste
Mal hier war, fühlte ich mich wie zu Hause, es schien, dass mich jeder kennt.
bm: Was
hat Dir der Erfolg bisher gebracht ?
LA: Er
hat mir einige Wege geebnet. Mein ganzes Leben wollte ich anderen Leuten
helfen. Durch meinen Erfolg kann ich z.B. anderen Bands aus Louisiana helfen,
welche nicht so gute Kontakte haben. Das Musikgeschäft in den USA hat sich
gegenüber der alten Schule, aus der ich komme, geändert. Früher musstest Du gut
sein, um Erfolg zu haben. Heute kannst Du mit den richtigen Kontakten und dem
richtigen Marketing auch ohne riesigen Aufwand berühmt werden. Ich und Leute
aus meiner Zeit wurden nicht über Nacht berühmt. Wir hatten hart zu arbeiten,
um unseren Erfolg zu erreichen. Einmal wurde ich interviewt von jemandem, der
sagte “Hier haben wir Lynn August, einen “Overnight Success”. Ich sagte : “Ja, nur dass die Nacht 30 Jahre gedauert hat.”
Ich verwende aber auch
Tantiemen aus der Musik, die ich z.B. für einen Film geschrieben habe, um in
Zusammenarbeit mit einer Firma Computer für Behinderte aufzurüsten. Blinde
können so mit ihrem Computer sprechen. Für stark sehbehinderte haben wir einen
Vergrösserungs-Aufsatz für den Bildschirm entwickelt, so dass diese Menschen
trotzdem am Bildschirm arbeiten können.
Oft werde ich von
Veranstaltern gefragt, wo ich hingehen will. Nun, wie willst Du einem Blinden
die Sehenswürdigkeiten zeigen? Am meisten Befriedigung habe ich dann, wenn sie
mich mit andern Blinden zusammenbringen. So kann ich von ihnen lernen und sie
von mir.
bm: Hat
der Erfolg Dir etwas weggenommen ?
LA: 1994 war meine Mutter während etwa sechs
Monaten schwer krank. Und ich musste dauernd rein und raus aus der Stadt, zu
Auftritten oder anderen Verpflichtungen. Dies hat mich wirklich beschäftigt.
Einerseits wollte ich bei ihr sein, andererseits gab es diese Verpflichtungen
meinem Publikum gegenüber. Wäre ich nicht ein gefragter Musiker, hätte ich
immer in der Nähe meiner Mutter sein können. Wir standen uns sehr nahe. Sie hat
mich am meisten beeinflusst, meine Karriere zu verfolgen. Wenn ich nicht an den
Erfolg glauben wollte, sagte sie : “Du kannst zwar
nichts sehen, aber Du brauchst Deine Augen nicht, um zu denken und um Gefühle
zu zeigen. Leider verstarb sie am 17. September 1994. Ich denke, dass war das
einzige Mal, wo mir der Erfolg im Wege stand.
bm: Welchen
Anteil hat Glück in der Karriere eines Artisten ?
LA: Heute
einen enorm höheren Anteil als früher. Ich will keinem Musiker zu nahe treten. Aber
stell Dir einen wirklich talentierten Musiker vor, der sein ganzes Leben in die
Musik investiert hast, es aber nie wirklich bis ganz oben
geschafft hat. Und dann kommt ein junger Künstler, kopiert Deinen Stil und
macht über Nacht das grosse Geld. Ich kenne solche “Altstars” in den USA sowohl im Country- als auch im
Blues-Bereich. Ich muss allerdings zugeben, dass ich aus der alten Schule
komme. Einige meiner Generation sind wohl mit meiner Meinung einverstanden,
einige jüngere Musiker sehen es eventuell anders.
bm: Ich
bin durchaus Deiner Ansicht. Wenn Du Dir die heutigen Nashville Produktionen
anhörst, so gibt es viele, die brauchen die selben
Studio-Musiker, klingen gleich, sind nicht von einander zu unterscheiden.
LA: Das
hat natürlich auch mit der heutigen digitalen Technik und den Tricks zu tun,
mit denen Du heute jemanden besser klingen lassen kannst, als er wirklich ist. Wo
bleibt da die Persönlichkeit, das natürliche Talent. Wenn Du Dir alte
Mastertapes anhörst, die noch im Zweikanal-Verfahren aufgenommen wurden und trotzdem
heute noch gut klingen. Das muss ja einige der “alten” Musiker frustrieren.
Wobei mir gerade ein Beispiel einfällt, wo Glück auch schon früher eine Rolle
gespielt hat. Als Conway Twitty und Elvis Presley ihre Karriere begannen, hat
sich Elvis im Verhältnis zu Conway wesentlich rasanter zur Spitze katapultiert
und war über den Country Sektor hinaus ein Weltstar. Ich glaube nicht, dass
Elvis wesentlich besser war als Conway. Ich mag die Arbeit von beiden, aber
dies ist ein Beispiel, wie zwei wirklich talentierte Menschen unterschiedlichen
Erfolg haben können. Darum glaube ich, dass heute das Glück die grössere Rolle
spielt.
bm: Wenn
Du ein Interview mit Lynn August führen würdest, welche Frage würdest Du ihm
stellen, die ich nicht gestellt habe ?
LA: Hmm….
Ich glaube, Du hast einen enorm guten Job gemacht und so ziemlich alle Aspekte
angeschnitten, die mir wichtig sind. Hättest Du die Frage nicht gestellt, was
mir der Erfolg bringt, so würde ich sicher dieses noch anfügen. Es ist mir fast
das wichtigste Anliegen, anderen zu helfen. Aber eben…Du hast selbst diese
Frage gestellt. Ich hatte sehr viel Freude an diesem Interview.
bm: Ich
ebenfalls. Lynn, vielen Dank für dieses Gespräch und wir wünschen Dir, dass Du
noch vielen Menschen helfen kannst.