Interview mit BR549

© March 2005 / Bruno Michel

 

Bei den Auftritten von BR549 in Zürich waren diesmal nur zwei der offiziellen Band-Mitglieder dabei: Frontmann Chuck Mead und Schlagzeuger Shaw Wilson. Die restlichen Musiker hatten anderweitige Verpflichtungen. So war Multi-Instrumentalist Don Herron beispielsweise mit Bob Dylan unterwegs.

 

Die mitgereisten Kollegen von Chuck und Shaw waren aber alles andere als „Ersatz“. Die Auftritte der Band wirkten wie aus einem Guss und die Tatsache, dass eigentlich nur zwei der Originalbesetzung anwesend waren, tat der Qualität der Darbietung und der Stimmung im Publikum keinerlei Abbruch.

 

Im Vorfeld ihres Auftritts hatte ich Gelegenheit, mit Chuck Mead (CM) und Shaw Wilson (SW) ein Gespräch zu führen. Ein ziemlich spassiges Unterfangen, die beiden hatten immer wieder komische Antworten parat.

 

bm: Man sagt über euer letztes Album, Tangled In The Pines, dass es die Gruppe BR549 neu definiere. Warum ist das so, ausser, dass keine Cover Songs mehr darauf zu finden sind?

CM: Ich glaube, unsere Fähigkeit Lieder zu schreiben hat sich so weit entwickelt, dass uns wir das auszudrücken, was wir wirklich fühlen und denken. Wir haben das Album gemacht, bevor wir einen Vertrag mit Dualtone hatten. Erst danach haben wir den Rohmix ins Studio gebracht, wo Ray Kennedy, der auch schon mit Steve Earle gearbeitet hat, mit seiner Top Ausrüstung die Scheibe fertig gemixt hat. Das Album definiert uns musikalisch wie auch durch die Auswahl der eigenen Songs. Wir wollten diesmal ein Produkt bringen, dass uns charakterisiert.

 

bm: Ihr habt mit eurem Sound viele beeinflusst, so beispielsweise die Derailers oder Two Tons of Steel….

CM: (unterbricht) …das glaube ich nicht. Die Derailers und andere oder wir kamen alle etwa zur gleichen Zeit. Ich denke, wir haben uns gegenseitig beeinflusst…

bm:ja, schon. Aber die andern sprechen mit Achtung über euch. Sie sehen euch als Beeinflusser. Zudem bringt zumindest eure Art der Interpretation ein gewisses Gefühl rüber.

CM: … wir achten die andern genau so. Vielleicht haben wir einige beeinflusst, die später kamen. Aber diejenigen, die ich erwähnt habe, betrachte ich als Class of the early 90’s. Alle sind Spitzenmusiker, die ihren Platz in den letzten zehn Jahren erarbeitet haben. Vom Gefühl her hast du sicher recht. Auch wir spielen Crazy Arms, aber eben nicht so, wie es Ray Price oder Jerry Lee Lewis taten. Wir versuchen, dieses ehrliche Gefühl dem Publikum nahe zu bringen.

 

bm: Dieser Aspekt bringt mich zur nächsten Frage. Welchen Rat gebt ihr Neueinsteigern, wenn sie diese Ehrlichkeit behalten wollen und sich nicht den Musikgiganten und Beratern beugen wollen?

SW: Such dir einen normalen Job…(Gelächter)

bm: Genau das hat mir vor ein paar Monaten Tommy Alverson auch geantwortet.

SW: Stimmt aber. Leider tolerieren die heutigen Marketing Strategen in unserem Geschäft keine Individualität, die nicht zu ihren Konzepten passt. Wenn du deine eigene Musik machen willst, toll. Aber erwarte nicht all zu viel Unterstützung. Wir oder die Derailers konnten unseren eigenen Sound vor zehn Jahren noch definieren und haben einigermassen Erfolg damit. Das ist heute anders geworden. Wenn du davon leben willst, spiele besser den Part, den dir die Industrie im Orchester zuweist. Wenn du dich selber sein willst, behalte deinen Tagesjob, denn du musst ja essen.

 

bm: Ist das nur in Nashville der Fall, oder…

SW: …nein, das ist allgemein so…

CM: …richtig, das gilt für alle Segmente, ob Country, Pop oder Rock. Aber glücklicherweise vollzieht die Branche momentan einen starken Wandel. Labels verschwinden, werden aufgekauft, weil sie alleine zu schwach sind, zu diversifizieren. Mit den Radios ist es genauso. Die Rock Stations spielen Hip Hop und versuchen, auf der Erfolgswelle oben zu bleiben. Dann die ganze Internet Geschichte. Die Industrie hat verpasst, es den Leuten früh genug zu ermöglichen, legal Musik für 99 Cents pro Titel zum herunterladen anzubieten. Heute müssten die Preise noch weiter fallen. Mann, ich konnte mir früher eine 45er Single für 99 Cents besorgen, das waren schon zwei Songs. Einerseits ist es demotivierend, dass es immer weniger Künstler gibt, die sich frei entfalten können. Andererseits kannst du schon Erfolg haben, musst dich aber auf Live Konzerte und kleinere Labels fokussieren.

 

bm: Ich glaube, die aktuelle Entwicklung betreffend Radiostationen und Plattenlabels ist ungesund. Laufend werden Firmen aufgekauft, es gibt immer weniger.

CM: Ja, momentan ist das noch so. Aber warte mal ab. Der Markt für die unabhängigen Labels explodiert. Genau aus dem Grund, weil Musiker wieder sich selber sein wollen. Das wird passieren. Der Markt hat sich schon immer verändert, aber die Zyklen sind kürzer geworden. Erinnere dich, als die Videobänder auf den Markt kamen. Die Filmindustrie ist fast ausgeflippt. Und heute machen sie einen rechten Teil ihres Umsatzes mit dem Verkauf von DVDs.

 

bm: Der Grund, warum ich vorher gefragt habe, ob dieses Phänomen nur in Nashville existiert, ist, dass mir kürzlich jemand erzählt hat, dass du durchaus als eigenständiger Musiker existieren kannst, du musst dich nur auf dein Publikum konzentrieren.

CM: Stimmt schon. Die Frage ist aber, wie du existieren willst. Ich jedenfalls werde mir keinen „normalen“ Job suchen – vielleicht sollte ich es. Aber ich will nicht…

bm: …du hast ja einen Job…

CM: … nein (lacht), das hier ist kein Job. Meine Frau hat einen Job. Die geht täglich arbeiten.

SW: Ich will noch etwas zu vorhin anfügen. Die Industrie wird zu den Wurzeln zurück kehren. So, dass jemand, der Talent hat und sein eigenes Ding durchzieht auch wieder Erfolg haben wird. Darum sollte man sich selber treu bleiben. Die unabhängigen Labels verpflichten momentan sehr viele neue, grossartige Künstler.

 

bm: Würdet ihr lieber einen Song schreiben, der sich einhundert Millionen mal verkauft oder einen, der hundert Jahre überdauert?

CM: Beides. Ganz klar. Einige der grössten Songs aller Zeiten sind jetzt schon uralt. Nimm Old Folks At Home als Beispiel. Das wär schon cool, einen solchen Dauerbrenner zu schreiben. Allerdings ist der Typ, der jenen Song geschrieben hat, in Armut gestorben (lacht).

 

bm: Wenn ihr eine Autobiografie über BR549 schreiben würdet, was wäre der Titel?

CM: Oh Mann, das wäre ein sehr vielseitiges Buch. Wir haben so viel Blödsinn angestellt. Wie wäre der Titel…

SW: …die Verrückten, blödsinnigen…

CM: (lacht)…ja, echt. Nein, vielleicht One Long Saturday Night. Wie einer unserer Songs. Für uns ist das Leben seit zehn Jahren ein einziger, langer Samstagabend mit Party und Spass.

 

bm: Wie wählt ihr Songs für ein neues Album aus? Gebt ihr zwei den Takt vor, oder haben die andern mit zu reden?

CM: Jeder von uns schreibt Songs. Wenn einer das Gefühl hätte, ein Lied passe nicht zu seinem Stil, dann würden wir’s weg lassen. Das ist aber eigentlich noch nie passiert. Mehrheitlich geht es also demokratisch zu und her.

 

bm: Habt ihr kürzlich an etwas vollständig Neuem experimentiert, etwas, das noch nie da war?
SW: Ja, wir haben am Album Beautiful Dreamer – The Songs of Stephen Foster mitgearbeitet. Der war für mich der Edgar Allan Poe und Mark Twain der Musik Szene, so um 1850 herum. Das war ein sehr interessantes Projekt. Raul Malo, Emmylou Harris oder John Prine haben auch ihre Stimmen geliehen.

 

bm: Gibt es einen Unterschied zwischen den Jungs von BR549 auf der Bühne und hier mir gegenüber?
SW: Nun, wir sind lange zusammen, es ist eine dauernde, nie endende Show.

Bm: Die Frage ist, spielt ihr im Privatleben eure Show oder habt ihr euer Privatleben auf die Bühne getragen?

CM: Nein, ich mähe den Rasen, spiele Golf und Basketball, ich wasche die Wäsche, koche für meine Frau – die hat ja schliesslich einen Job – und so weiter. Aber auf der Bühne bin ich doch anders. Ich trage dort keine Basketball Schuhe (lacht).

 

bm: Wenn die Leute in fünfzig Jahren auf eure Karriere zurück blicken, was wünscht ihr euch, dass sie sagen?
CM: Wo sind die eigentlich abgeblieben (lacht). Haben die nicht mal Erfolg gehabt? Wer war das noch mal? BR-who?

SW: Spielten sie für weniger als zehntausend Franken?

 

bm: Wenn ihr BR549 interviewen würdet, welche Frage stellt ihr, die ich nicht gestellt habe?
CM: Warum, lieber Gott, warum, oder…? Ich weiss nicht. Du hast einiges abgedeckt.
SW: Habt ihr 9-Volt-Batterien dabei? Meist fehlt dir nämlich genau das, was du brauchst. Du hast die Saiten dabei, die nicht kapputt gehen, die Batterien, die nicht passen und den Adapter, der in dem Land nicht funktioniert.

 

bm: Dann wünsche ich euch, dass eure Batterien noch lange funktionieren mögen und bedanke mich für das Gespräch.