Interview mit BR549
Bei den Auftritten von BR549 in Zürich
waren diesmal nur zwei der offiziellen Band-Mitglieder dabei: Frontmann Chuck
Mead und Schlagzeuger
Shaw Wilson. Die restlichen Musiker hatten anderweitige Verpflichtungen. So
war Multi-Instrumentalist Don Herron beispielsweise
mit Bob Dylan unterwegs.
Die mitgereisten Kollegen von Chuck und
Shaw waren aber alles andere als „Ersatz“. Die Auftritte der Band wirkten wie
aus einem Guss und die Tatsache, dass eigentlich nur zwei der Originalbesetzung
anwesend waren, tat der Qualität der Darbietung und der Stimmung im Publikum
keinerlei Abbruch.
Im Vorfeld ihres Auftritts hatte ich
Gelegenheit, mit Chuck Mead (CM) und Shaw Wilson (SW) ein Gespräch zu führen.
Ein ziemlich spassiges Unterfangen, die beiden hatten
immer wieder komische Antworten parat.
bm: Man sagt
über euer letztes Album, Tangled In The Pines,
dass es die Gruppe BR549 neu definiere. Warum ist das so, ausser,
dass keine Cover Songs mehr darauf zu finden sind?
CM: Ich glaube, unsere
Fähigkeit Lieder zu schreiben hat sich so weit entwickelt, dass uns wir das
auszudrücken, was wir wirklich fühlen und denken. Wir haben das Album gemacht,
bevor wir einen Vertrag mit Dualtone hatten. Erst danach haben wir den Rohmix ins Studio gebracht, wo Ray Kennedy, der auch schon
mit
bm: Ihr habt
mit eurem Sound viele beeinflusst, so beispielsweise die Derailers oder Two Tons of Steel….
CM: (unterbricht) …das glaube
ich nicht. Die Derailers und andere oder wir kamen alle etwa zur gleichen Zeit.
Ich denke, wir haben uns gegenseitig beeinflusst…
bm:…ja, schon. Aber
die andern sprechen mit Achtung über euch. Sie sehen euch als Beeinflusser. Zudem bringt zumindest eure Art der
Interpretation ein gewisses Gefühl rüber.
CM: … wir achten die andern
genau so. Vielleicht haben wir einige beeinflusst, die später kamen. Aber
diejenigen, die ich erwähnt habe, betrachte ich als Class of the early 90’s. Alle sind Spitzenmusiker,
die ihren Platz in den letzten zehn Jahren erarbeitet haben. Vom Gefühl her
hast du sicher recht. Auch wir spielen Crazy Arms, aber eben nicht so, wie es Ray Price
oder Jerry Lee Lewis taten. Wir versuchen, dieses ehrliche Gefühl dem Publikum
nahe zu bringen.
bm: Dieser Aspekt
bringt mich zur nächsten Frage. Welchen Rat gebt
ihr Neueinsteigern, wenn sie diese Ehrlichkeit behalten wollen und sich nicht
den Musikgiganten und Beratern beugen wollen?
SW: Such dir einen
normalen Job…(Gelächter)
bm: Genau das
hat mir vor ein paar Monaten Tommy Alverson auch
geantwortet.
SW: Stimmt aber. Leider
tolerieren die heutigen Marketing Strategen in unserem Geschäft keine
Individualität, die nicht zu ihren Konzepten passt. Wenn du deine eigene Musik
machen willst, toll. Aber erwarte nicht all zu viel Unterstützung. Wir oder die
Derailers konnten unseren eigenen Sound vor zehn Jahren noch definieren und haben
einigermassen Erfolg damit. Das ist heute anders
geworden. Wenn du davon leben willst, spiele besser den Part, den dir die
Industrie im Orchester zuweist. Wenn du dich selber sein willst, behalte deinen
Tagesjob, denn du musst ja essen.
bm: Ist das
nur in Nashville der Fall, oder…
SW: …nein, das ist
allgemein so…
CM: …richtig, das gilt
für alle Segmente, ob Country, Pop oder Rock. Aber glücklicherweise vollzieht
die Branche momentan einen starken Wandel. Labels verschwinden, werden
aufgekauft, weil sie alleine zu schwach sind, zu diversifizieren. Mit den
Radios ist es genauso. Die Rock Stations spielen Hip Hop und versuchen, auf der Erfolgswelle oben zu bleiben.
Dann die ganze Internet Geschichte. Die Industrie hat verpasst, es den Leuten
früh genug zu ermöglichen, legal Musik für 99 Cents pro Titel zum herunterladen
anzubieten. Heute müssten die Preise noch weiter fallen. Mann, ich konnte mir
früher eine 45er Single für 99 Cents besorgen, das waren schon zwei Songs.
Einerseits ist es demotivierend, dass es immer weniger Künstler gibt, die sich
frei entfalten können. Andererseits kannst du schon Erfolg haben, musst dich
aber auf Live Konzerte und kleinere Labels
fokussieren.
bm: Ich
glaube, die aktuelle Entwicklung betreffend Radiostationen und Plattenlabels
ist ungesund. Laufend werden Firmen aufgekauft, es gibt immer weniger.
CM:
Ja, momentan ist das noch so. Aber warte mal ab. Der Markt für die unabhängigen
Labels explodiert. Genau aus dem Grund, weil Musiker wieder sich selber sein
wollen. Das wird passieren. Der Markt hat sich schon immer verändert, aber
die Zyklen sind kürzer geworden. Erinnere dich, als die Videobänder auf den
Markt kamen. Die Filmindustrie ist fast ausgeflippt. Und heute machen sie
einen rechten Teil ihres Umsatzes mit dem Verkauf von DVDs.
bm: Der
Grund, warum ich vorher gefragt habe, ob dieses Phänomen nur in Nashville
existiert, ist, dass mir kürzlich jemand erzählt hat, dass du durchaus als
eigenständiger Musiker existieren kannst, du musst dich nur auf dein Publikum
konzentrieren.
CM: Stimmt schon. Die
Frage ist aber, wie du existieren willst. Ich jedenfalls werde mir keinen
„normalen“ Job suchen – vielleicht sollte ich es. Aber ich will nicht…
bm: …du hast
ja einen Job…
CM: … nein (lacht), das
hier ist kein Job. Meine Frau hat einen Job. Die geht täglich arbeiten.
SW: Ich will noch etwas
zu vorhin anfügen. Die Industrie wird zu den Wurzeln zurück
kehren. So, dass jemand, der Talent hat und sein
eigenes Ding durchzieht auch wieder Erfolg haben wird. Darum sollte man sich
selber treu bleiben. Die unabhängigen Labels verpflichten momentan sehr viele
neue, grossartige Künstler.
bm: Würdet ihr
lieber einen Song schreiben, der sich einhundert Millionen mal verkauft oder einen, der hundert Jahre überdauert?
CM: Beides. Ganz klar.
Einige der grössten Songs aller Zeiten sind jetzt
schon uralt. Nimm Old Folks At Home als Beispiel. Das wär
schon cool, einen solchen Dauerbrenner zu schreiben. Allerdings ist der Typ,
der jenen Song geschrieben hat, in Armut gestorben (lacht).
bm: Wenn ihr
eine Autobiografie über BR549 schreiben würdet, was wäre der Titel?
CM: Oh Mann, das wäre ein
sehr vielseitiges Buch. Wir haben so viel Blödsinn angestellt. Wie wäre der
Titel…
SW: …die Verrückten,
blödsinnigen…
CM: (lacht)…ja, echt. Nein, vielleicht One Long
Saturday Night. Wie
einer unserer Songs. Für uns ist das Leben seit zehn Jahren ein einziger,
langer Samstagabend mit Party und Spass.
bm: Wie wählt
ihr Songs für ein neues Album aus? Gebt ihr zwei den Takt vor, oder haben
die andern mit zu reden?
CM: Jeder von uns
schreibt Songs. Wenn einer das Gefühl hätte, ein Lied passe nicht zu seinem
Stil, dann würden wir’s weg lassen. Das ist aber eigentlich noch nie passiert.
Mehrheitlich geht es also demokratisch zu und her.
bm: Habt ihr
kürzlich an etwas vollständig Neuem experimentiert, etwas, das noch nie da war?
SW: Ja, wir haben am Album Beautiful Dreamer – The
Songs of Stephen Foster mitgearbeitet. Der war für mich der Edgar Allan Poe
und Mark Twain der Musik Szene, so um 1850 herum. Das war ein sehr
interessantes Projekt. Raul Malo, Emmylou Harris oder
John Prine haben auch ihre Stimmen geliehen.
bm: Gibt es
einen Unterschied zwischen den Jungs von BR549 auf der Bühne und hier mir
gegenüber?
SW: Nun, wir sind lange zusammen, es ist
eine dauernde, nie endende Show.
Bm: Die Frage
ist, spielt ihr im Privatleben eure Show oder habt ihr euer Privatleben auf die
Bühne getragen?
CM: Nein, ich mähe den
Rasen, spiele Golf und Basketball, ich wasche die Wäsche, koche für meine Frau
– die hat ja schliesslich einen Job – und so weiter.
Aber auf der Bühne bin ich doch anders. Ich trage dort keine Basketball Schuhe
(lacht).
bm: Wenn die
Leute in fünfzig Jahren auf eure Karriere zurück blicken, was wünscht ihr
euch, dass sie sagen?
CM: Wo sind die eigentlich abgeblieben
(lacht). Haben die nicht mal Erfolg gehabt? Wer war das noch mal? BR-who?
SW: Spielten sie für
weniger als zehntausend Franken?
bm: Wenn ihr
BR549 interviewen würdet, welche Frage stellt ihr, die ich nicht gestellt
habe?
CM: Warum, lieber Gott, warum, oder…? Ich
weiss nicht. Du hast einiges abgedeckt.
SW: Habt ihr 9-Volt-Batterien dabei? Meist
fehlt dir nämlich genau das, was du brauchst. Du hast die Saiten dabei, die
nicht kapputt gehen, die Batterien, die nicht passen
und den Adapter, der in dem Land nicht funktioniert.
bm: Dann
wünsche ich euch, dass eure Batterien noch lange funktionieren mögen und
bedanke mich für das Gespräch.