Interview mit den Cherryholmes, Shooting Stars der Bluegrass Szene

 

© Februar 2007 / Bruno Michel

 

Es ist eher ungewöhnlich – vor allem in der kleinen aber feinen Welt der Bluegrass Musik – dass eine Band nach nur vier Jahren professionellen Auftretens die höchsten Ehrungen und Auszeichnungen erhält. Die Familienband Cherryholmes hat genau diesen Weg hinter sich. Sie begannen 1999 Bluegrass Musik zu spielen, hatten ihren ersten professionellen Auftritt im Jahr 2002 und wurden letztes Jahr mit dem Entertainer of the Year Preis der International Bluegrass Music Association (IBMA) ausgezeichnet. Ich nahm die Gelegenheit wahr, mit den Eltern Jere (JC) und Sandy Lee (SC) Cherryholmes während ihres zweiten Aufritts in der Schweiz zu sprechen.

bm: Euren Kontakt zu Bluegrass fandet ihr erst 1999, nach einer persönlichen Tragödie. Heute seid ihr Entertainer of the Year. Von Los Angeles kommend zu höchsten Bluegrass Ehren – wie passt das zusammen?
JC: Gar nicht. Dort, wo ich in L.A. aufwuchs, war das gesamte Viertel von Leuten südamerikanicher Herkunft bewohnt. Wir wohnten also in unserem Haus sozusagen auf einer Insel. Wir mussten Bluegrass Musik richtig gehend suchen. Du kannst sie zwar auch in Kalifornien finden, aber eben nicht so leicht wie beispielsweise in Tennessee oder Kentucky. Wir beschafften uns einige Musik Kassetten und spielten diese zu Hause ab, dazu tanzten wir und versuchten, die Songs nachzuspielen. Dadurch, dass wir unsere Kinder zu Hause unterrichteten, mussten wir Musikunterricht in den Stundenplan einbauen. Es war recht schwierig und mit viel Aufwand verbunden, diese Art der Musik zu fühlen und richtig zu spielen. Keines unserer Kinder kann Noten lesen. Sandy hat ihnen beigebracht, nur auf das Gehör zu achten.

bm: Jere, du warst Mitglied einer Bande in L.A., danach gingst du zur Navy und Ihr habt eure Kinder zuhause unterrichtet. Verschiedenste Lebensstile kamen bei euch zusammen. Wie habt ihr es geschafft, zuhause die Disziplin zu wahren?
JC: Wir waren schon vorher relative diszipliniert. Nach der Navy brachte ich meine Erkenntnisse betreffend Disziplin mit nach Hause (lacht). Wenn du willst, dass deine Kinder – egal was sie tun – erfolgreich sind im Leben, spielt Disziplin eine wesentliche Rolle. Manchmal ist es für Kinder schwer zu verstehen, was ihnen dies bringen soll, also musst du es ihnen vorleben. Vor allem wenn du zuhause unterrichtest. Da geht ohne klaren Zeitplan nichts, stimmt’s? (schaut zu Sandy). Sag du was, dann muss ich nicht die ganze Zeit reden (lacht).
SC: Nun, wie Jere richtig erwähnt hat, brauchst du einen genau abgestimmten Stundenplan für alle Fächer. Schon in der Zeit vor der Band-Gründung hatten wir zusammen getanzt, aber mehr als Auflockerung. Nun wurde es Zeit, dass ich auch noch Tanz- und Musik-Stunden ins Programm aufnahm. Ich habe also jedes einzelne Kind für ca. 20-30 Minuten individuell unterrichtet, danach brachten wir alle zusammen, damit sie das Gelernte gemeinsam anwenden konnten. Manchmal mussten sie einen Instrumental- oder Gesangspart lernen, ohne zu wissen, wie der ganze Song als Einheit klingt. Das hörten sie erst, wenn wir alle zusammen brachten.

bm: Wie ich hörte, hat keiner von euch einen privaten Email-Account. Was haltet ihr von Leuten, die glauben, sie müssten jederzeit, 24 Stunden am Tag erreichbar sein?
JC: Das ist auch eine Frage der Disziplin. Wir haben Mobiltelefone und wir glauben, das reicht völlig aus. Wenn wir uns auch noch mit Emails herum schlagen müssten, könnte das mit der Zeit lästig werden. Schau mal, viele Bands haben einen Manager, Agenten oder Fan
Club, der ihnen den ganzen Email-Verkehr abnimmt. Wenn wir bei dreihundert Auftritten pro Jahr auch noch Mails beantworten müssten, würden sich die Fans über kurz oder lang vernachlässigt fühlen, weil wir zu spät oder gar nicht antworten. Das wollen wir nicht. Für wichtige Papiere gibt es die Möglichkeit zu faxen, das reicht.

bm: Vier Kinder und die Eltern macht sechs Individuen und vielleicht manchmal auch sechs Meinungen. Wer entscheidet wenn ihr mal nicht einer Meinung seid?
SC: Nun, die letzte Entscheidung sollte, wie das bei richtigen Familien so üblich ist, beim Vater oder eventuell bei Vater und Mutter liegen. Aber wir haben durchaus ein offenes Ohr für die Ideen unserer Kinder. Aber du brauchst einen Kopf, der final entscheidet. Es sollten nur keine Entscheidungen aufgrund der momentanen Gefühlslage sein, sondern solche aus Erfahrung und Weisheit. Kinder haben nun mal weniger Lebenserfahrung, deshalb übernehmen wir diesen Part. Beispiel: Eines der Kinder kommt mit einem tollen Song daher, wir finden aber, dass der vielleicht nicht zu unserem momentanen Stil passt, oder zu dem, was unsere Fans hören wollen. Also müssen wir ihnen beibringen, dass dies der falsche Zeitpunkt für so ein Lied ist.

bm: Im Alter zwischen 14 und 23 haben die meisten Kinder alles Andere im Kopf, als mit den Eltern Bluegrass zu spielen. Was hält sie in der Band – ausser der Familienbande?
JC: Über dieses Stadium sind wir schon hinaus. Als wir anfingen, wäre diese Frage vielleicht noch sinnvoll gewesen. Heute ist es die Karriere jedes Einzelnen, die sie hält. Jeder bekommt Anerkennung für das, was er tut. Beispielsweise waren wir kürzlich für insgesamt elf Auszeichnungen nominiert. Der Gitarrist in seiner Kategorie, genau so wie die Banjospielerin und einer der Fiddler. Auch ich war als Bassist nominiert. Jeder hat also seine ganz persönlichen Erfolgserlebnisse, wird sogar angefragt, auf Projekten anderer Musiker mitzumachen. Und das beflügelt wiederum jeden, den Zusatzaufwand zur Erreichung der nächsten Ebene auf sich zu nehmen.

bm: Wenn ein Ausserirdischer mit seinem Raumschiff an einem Bluegrass Festival landet, wo ihr gerade auftretet, wovor würdet ihr ihn warnen?
SC: (lacht) Pass auf, wo du hintrittst. Die meisten dieser Festivals finden auf Weideland statt.
JC: Kommt drauf an, wo das Festival stattfindet. In Kentucky trinken sie bei solchen Anlässen viel Moonshiner (selbst gebrannter Whiskey), in Wisconsin eher Bier. Also allgemein würde ich ihn warnen, das längst nicht alle Leute auf diesem Planeten so sind, wie wir und viele Festivalbesucher (lacht).

bm: Jere, du hast mal gesagt, ihr seid “Überlebenskünstler im Leben”, die versuchen, alles selbst zu machen. Wenn Leute in 50 Jahren auf euer Leben zurück blicken, was wünscht ihr euch, dass sie dann über euch sagen?
SC: Ich hoffe, dass sie Respekt hätten vor dem, was wir in der Zeit in der wir lebten, versucht haben zu realisieren. Wir versuchen, viele Dinge anders zu machen, uns an Familientradition und ähnlichen Werten zu orientieren. Auch auf unserem Grundstück in Arizona versuchen wir das, haben zum Beispiel keine Elektrizität. Dann die Tatsache, dass wir seit vier Jahren praktisch unser Zuhause nicht mehr gesehen haben und aus dem Tourbus leben. Manchmal denke ich, dass die Leute die einfache Sicht auf die Dinge verloren haben. Du kannst Glück nicht daran messen, was du dir alles kaufen kannst.

bm: Ihr habt in wenigen Jahren sehr viel erreicht. Falls ihr nun Aladin’s Wunderlampe finden würdet, welche drei Wünsche hättet ihr an den Geist?
SC: (lacht) Jere und ich werden das wohl mit Armdrücken ausmachen müssen, da haben wir vielleicht nicht die gleiche Meinung. Ich nehm mal den ersten Wunsch, von dem ich weiss, dass es ein gemeinsamer ist. Er kann dann die andern beiden haben. Also ich wünsche mir, dass wir als Familie un simmer nahe stehen und unsere Kinder die Werte hoch halten, die wir ihnen beigebracht haben.
JC: Ich wünsche uns Gesundheit, dass wir fokussiert bleiben und uns durch den Erfolg nicht blenden lassen. Ich glaube, wir können den Leuten etwas bieten, nicht nur die Musik, sondern auch die Erkenntnis, dass eine Familie auch heute noch so funktionieren kann, wie bei uns. Den dritten Wunsch weiss ich im Moment nicht. Materielle Dinge haben uns noch nie viel bedeutet und das wird auch so bleiben.

bm: Wenn ihr ein Interview mit den Cherryholmes führen müsstet, welche Frage stellt ihr euch, die ich nicht gestellt habe?
JC: Ich würde mich fragen, ob ich noch ein Gehirn habe (lacht). Da mir schon alle Haare ausgefallen sind, ist vielleicht auch mein Hirn weg. Oder ich würde fragen, ob wir das, was wir tun noch immer lieben…..blöde Frage.
SC: (lacht) Ich weiss nicht…es ist zu schwierig, mich selbst was zu fragen und dann noch gleich die Antwort zu geben.

bm: Auch gut. Danke für das Interview und viel Glück bei euren Auftritten.