Interview mit Anita Cochran
Ihre Eltern lernten sich an einem
Country Konzert, bei dem ihr Vater auftrat, kennen. Ihre Mutter singt Country
Gospel und die drei älteren Brüder spielen Rock, Blues und Jazz. Wen wundert’s,
dass Anita Cochran schon sehr jung ihre erste
Bühnenerfahrung sammelte. „Meine Eltern gaben mir diese riesige Martin D-35 in
die Hand. Mama musste das Instrument festhalten, während ich spielte. Das Ding
habe ich heute noch, es ist mein Talisman“, erinnert sich Anita. Als Teenie überredeten sie die Eltern, an einem
Talentwettbewerb mit zu machen. Dort traf sie Backstage
auf Loretta Lynn, eines ihrer musikalischen Vorbilder. Aber in South Lyon,
Michigan, gab es nicht viele Orte, wo eine Country Musikerin auftreten konnte,
also schlug sie sich von einer Band zur andern durch, bevor sie sich für eine Songwriter- und Solokarriere entschied. Die Wende kam, als
sie Dick Williams traf, einen Ex-Manager der Musikindustrie, der mittlerweile
eine eigene Produktionsfirma besass. Er packte Anita’s
Demo Tape in einen Umschlag und schickte es an Jim Ed Norman bei Warner
Brothers. Ihr erstes Album, Back To You,
entstand.
bm: Anita, Dein erstes Album
kam 1997, ein Juwel für mich und viele Country Music Fans. Warum mussten wir
bis 2000 auf die zweite Produktion, Anita, warten?
AC: Nach dem ersten Album hatten wir den Nummer-1 Hit mit
bm: Auf dem neuen Album stammen drei Songs von Dir, an weiteren vier
hast Du mitgeschrieben. Bist Du in erster Linie Sängerin oder Songwriterin?
AC: Ich weiss es nicht. Oft fragt man mich, ob ich Sängerin,
Songschreiberin oder Musikerin sei. Das ganze fing an, als ich fünf Jahre alt
war. In unserer Familie hatte die Musik immer eine zentrale Rolle. Ich spielte
in der Band meiner Eltern erst Rhythmusgitarre, dann Leadgitarre,
dann sang ich erstmals. So hat sich das entwickelt. Ich sehe mich als
„Gesamtpaket“. Ich kann nicht das eine wichtiger einstufen als das andere.
bm: Nach welchen Kriterien suchst Du die Songs aus, die Du nicht selber
schreibst?
AC: Emotion. Wenn jemand daher kommt und mir einen Song vorspielt, den
ich mag, schmeisse ich möglicherweise einen meiner eigenen über Bord. Für mich
ist es wichtig, dass ich mich mit dem Lied identifizieren kann. Wenn ich selber
schreibe, hat die Geschichte meist einen wahren Hintergrund. So versuche ich,
ähnliche Ereignisse auch in fremden Songs zu finden. Es ist dann, wie wenn ich
ihn selber geschrieben hätte.
bm: Was ist wichtiger in einem
Song, die Worte oder die Musik?
AC: In der Country Music sind
Worte sehr wichtig. Schon immer haben mich die Geschichten der Songs
fasziniert. Mehrfach in meinem Leben haben mir Songs geholfen, aus einer
traurigen Situation heraus zu finden.
bm: Welche Message
willst Du von der Bühne aus an Dein Publikum vermitteln?
AC: Jeder Song hat seine eigene
Message, glaube ich. Nimm beispielsweise mein Lied Daddy
Can You See Me. Ich
schrieb es für meine beste Freundin, als ihr Vater starb. Früher spielten wir
den Song bei Konzerten nicht. Aber der Text hat offenbar so viele Fans berührt,
dass wir massenweise Anfragen bekamen, das Lied zu spielen. Da es ein sehr
persönlicher Song ist, trage ich ihn alleine mit meiner Gitarre vor. Wenn ich
wütend bin oder aufgedreht, höre ich mir Rocksongs an, wenn ich in anderer
Stimmung bin, suche ich die passende Musik.
bm: Du stammst aus einer sehr
musikalischen Familie. Finden heute noch die berühmten Familien-Jam
Sessions bei Euch zu Hause statt?
AC: Nicht oft. Wir haben nicht
mehr viel Gelegenheit dazu. Vor drei Wochen allerdings war ich ein paar Tage zu
Hause in Michigan. Viele Freunde kamen und wir hatten eine Riesenparty und jede
Menge Spass. Wir sangen und spielten alle Songs, an die sich irgend
einer von uns erinnern konnte.
bm: Wie verträgt sich das viele
Reisen und die Absenzen mit Deinem privaten Umfeld?
AC: Schwierig. Ich bin auf
einer Farm aufgewachsen und habe mir vor zwei Jahren eine eigene Farm in
Tennessee gekauft. Ich bin ein ziemliches Country Girl, am liebsten draussen,
in der Natur. Pferde pflegen, reiten oder irgendwas arbeiten. Hauptsache an der
frischen Luft. Das vermisse ich. Andererseits reise ich auch sehr gerne, vor
allem an Orte, die ich noch nie gesehen habe. Viele unterschätzen den Aufwand,
den Du als aktiver Musiker treiben musst. Es ist ja nicht so, dass Du nach
einem Auftritt einfach nach Hause fährst und das Leben geniessen kannst. Da
warten Telefonate, Studioarbeiten, Drehaufnahmen zu Videos, Planung,
Presseauftritte und so weiter auf Dich. Dann noch Songschreiben und schon
geht’s zum nächsten Auftritt.
bm: Apropos Auftritte. Du
hattest letztes Jahr die General Motors Tour und bist an allen NASCAR Rennen
aufgetreten. Viele von uns hier hat der kürzliche Renntod von Dale Earnhardt sehr traurig gemacht. Der Unfall sah gar nicht so
spektakulär aus.
AC: Das war wirklich ein
Schock. Der Unfall davor mit dem sich mehrfach überschlagenden Wagen sah sehr
viel gefährlicher aus. Dale war seit drei Jahren ein guter Freund. Wir konnten
nicht glauben, was wir letzte Woche sahen und hörten. Zwei Songs entstanden für
die Tour. Girl’s
Like Fast Cars und Good Times. Letzterer für einen
Werbespot. Auf der Good-Times-Tournee spielten wir
abwechselnd sieben Nächte, hatten einen Abend frei, und das während drei
Monaten. Jeden Abend in einem andern Bundesstaat. Wir werden Dale sehr
vermissen.
bm: Country Music Verkäufe sind
seit 1998 rückläufig. Welche Gründe gibt es dafür Deiner Meinung nach?
AC: Jeder hat hierzu wohl seine
eigene Meinung. Ich glaube Country Music ist sehr stark gesteuert von den
Radiostationen. Einige Künstler verkaufen heute zehn Millionen Platten. Allerdings
nicht an das Country Publikum. Sie sind in den Popcharts zu finden und sprechen
mit ihren Songs die Teenager an. Als rejner Country
Artist hast Du es heute schwer. Einerseits sollst Du Platten verkaufen, damit
Dein Labelvertrag bestehen bleibt, andererseits wirst Du nicht am Radio
gespielt, weil Du zu sehr Country bist. Wie sollst Du CDs verkaufen, wenn Du
nicht gespielt wirst? Das verstehe ich nicht. Hast Du schon mal einen
Rocksender gehört, der dem Künstler sagt: ‚Wir können Dich nicht spielen, weil
Du zu sehr Rock bist?’ Andererseits, wie soll ein Teenager auch einen Text wie zum Beispiel in Daddy Won’t Sell The Farm
verstehen? Du brauchst eine gewisse Lebenserfahrung, damit Du die Geschichten
der Country Music Songs richtig verstehen und Dich damit identifizieren kannst.
bm: Dein Duett mit
AC: Ja, sogar sehr viele. Aber
wenn ich mich wirklich auf einen Namen beschränken muss, dann ist es Loretta
Lynn. Als ich angefangen habe, war mein grösstes Ziel, in ihrer Band Gitarre zu
spielen. Es gibt für mich keine vergleichbare Künstlerin.
bm: Du triffst Aladdin. Welche drei Wünsche hast Du an den Geist der
Lampe?
AC: Erstens gesund zu bleiben
und ein langes Leben zu haben. Dann das selbe für
meine Familie. Und schliesslich, bei allem was ich mache, glücklich zu sein.
Erfolg oder nicht, ich werde immer Musik machen.
bm: Wenn Du ein Interview mit
Anita Cochran führen würdest, welche Frage stellst Du
ihr, die ich nicht gestellt habe?
AC: Oh Gott, das hat noch
keiner wissen wollen. Keine Ahnung...Mann, das ist schwierig. Normalerweise hab
ich immer Antworten. Lass mich nachdenken. Vielleicht: ‚Was würde ich tun, wenn
ich keine Musikerin wäre?’
bm: Und die Antwort?
AC: Wahrscheinlich würde ich
dann hundertprozentig meine Farm bewirtschaften. Ja, das Farmleben wär was für mich.
bm: Anita, ich wünsche Dir für
die Zukunft viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch.