Interview Sarah Jory

© March 1999 / Bruno Michel

 

Zweimal hatte das Schweizer Publikum bereits Gelegenheit, einem Auftritt von Sarah Jory beizuwohnen. Am Western-Ball vor einigen Jahren waren es viele. Umso mehr erstaunte die eher niedrige Besucherzahl bei ihrem letzten Auftritt im Zürcher Albisgüetli. Was den Anwesenden geboten wurde, war erstklassige Instrumentenbeherrschung gepaart mit Temperament und Witz, sowie unverkennbarem Teamgeist in der Band, die ausnahmslos aus Spitzenmusikern besteht. Wer den Auftritt verpasst hat, erhält am kommenden Festival in Bad Ischl Gelegenheit, dies nachzuholen. Und mit Sicherheit wird die Sarah Jory Band wieder Gast am Albi’s Güetli 2000.

 

Aber wie kommt ein Girl aus England dazu, ausgerechnet die Pedal Steel Guitar zu ihrem Lebensinhalt zu machen?

 

Als Sarah 4 Jahre alt war, tauschte sie die Spielzeugpuppen gegen eine Pedal Steel Guitar. Dieser Tausch markierte den Beginn einer wohl einzigartigen Instrumental-Karriere. Von Anbeginn war sie “besessen”, immer Neues auszuprobieren und sich und ihre Spielfähigkeit weiter zu entwickeln. Dies ermöglichte ihr mit 13 Jahren die Teilnahme an einer Steel-Convention mit rund 6000 Zuhörern in den USA. Sie spielte am Talentwettbewerb.

 

Am Ende ihres Vortrags sagte der Speaker auf der Bühne zu ihr : “Sarah, Big “E” lässt fragen, ob Du am Ende der Convention zusammen mit ihm einige Songs spielen willst.” The Big “E”, so wird unter den Steelern Altmeister Buddy Emmons bezeichnet. Und der war nach ihrem gemeinsamen Auftritt von Sarah’s Spiel so begeistert, dass er ihr vor versammeltem Publikum mit einer anerkennenden Geste seinen Hut aufsetzte. Jeder andere hätte sich nach diesem Ereignis auf dem Höhepunkt seines Könnens geglaubt. Nicht Sarah. Sie wurde dadurch ermuntert, noch virtuosere Kunststücke auf ihrem Instrument zu erlernen. Und sie entwickelt sich bis zum heutigen Tag stetig weiter. Denn mittlerweile beherrscht sie Banjo, Mandoline, und Gitarre ebenso virtuos.

 

Ich wollte von Sarah mehr erfahren. Zuerst wo sie sich selbst sieht im musikalischen Spektrum? “Alternative Country mag ich als Bezeichnung am ehesten”, sagt sie. “Es ist vor allem Musik, sowohl Country als auch Blues oder Rock. Wir sind – trotz traditioneller County Instrumentierung – keine typische Country Band.”

 

Gibt es einen bestimmten Song, der all ihre Talente zeigt? Sarah meint : “Nein, denn ich spiele zu viele Instrumente, um alles in einen Song zu verpacken. Stell Dir vor, wie das aussehen würde, mit Banjo, Steel, Mandoline und Gitarre gleichzeitig zu spielen und zu singen (lacht). Ich würde aussehen, wie einer dieser über und über mit Instrumenten behängten Strassenmusiker. Aber nach meinem Auftritt haben die meisten Leute einen guten Überblick über mein Können. Zudem lasse ich mich inspirieren vom Publikum. Ich passe in kein Schema und jeder meiner Auftritte ist irgendwie anders. Musik bewegt mich auf viele Arten. Das versuche ich rüber zu bringen.”

 

Was unternimmt sie heute, damit Sarah Jory auch in zehn Jahren noch ein gefragter Act ist? “Ich verbessere weiter meine Fähigkeiten auf der Pedal Steel. Dieses Instrument hat in den letzten 20 Jahren dafür gesorgt, dass ich bekannt wurde. Für mich bleibt es das wichtigste Instrument, um mich auf der Bühne zu präsentieren. Andere Instrumente oder Songs mögen wechseln, aber die Steel wird immer dabei sein.

 

Wer hat Ihre Musik am meisten beeinflusst? “Buddy Emmons ist sicher mein grösstes Vorbild auf der Steel Guitar. Es gibt einfach nichts, dass er darauf nicht spielen kann, Country, Blues, klassische Musik, egal. Das bewundere ich. Auf der Gitarre sind es Leute wie Eric Clapton. Und als Sängerin mag ich die “Alternativen”, wie k.d. lang, Sheryl Crow, Shania Twain oder Wynonna. Sie sind mutig und experimentieren auch mal. Genau wie ich. Auf der Bühne bin ich wie im privaten Leben. Wenig Make-Up, einfache Kleidung und Action. Ich respektiere, wenn sich andere im glitzernden Abendkleid auf die Bühne stellen. Aber für mich ist das nichts.”

 

 

Was bewegt Sarah, wenn sie ihr Publikum von der Bühne aus betrachtet? “Der Ausdruck in den Augen der Leute, soweit ich sie sehen kann. Ich beurteile die Wirkung meiner Songs an der Reaktion des Publikums. Wenn sie tanzen oder schweigend zuhören. Keine Million £ kann das ersetzen, was Du bekommst, wenn die Leute am Schluss des Auftritts nach Zugaben klatschen. Versteh mich nicht falsch (lacht), es ist schon nett, dass ich für den Job, den ich liebe, auch noch bezahlt werde. “

 

Was ist für sie wichtiger in einem Song, die Worte oder die Musik? Sarah überlegt nicht lange : “Beides. Es muss zusammen passen. Worte haben nur Wirkung, wenn die Melodie sie entsprechend unterstützt. Bei Instrumentalsongs ersetzt das wechselnde Tempo und der Einsatz der Instrumente die Worte. Und ich brauche eine Verbindung zu einem Song, um ihn glaubwürdig vortragen zu können.”

 

Gab es einen speziellen Anlass in ihrer Karriere, der als Wendepunkt gelten kann. “Ja, als ich meine Plattenfirma verliess. Wir sind immer noch gute Freunde. Sie brachten mich von der Club-Ebene in die grossen Konzerthallen und an die bekannten Festivals. Sie vertreiben auch meine neue CD. Aber musikalisch musste ich mich einfach weiter entwickeln, und das kann ich heute besser. Ich erwarte viel von mir und meinen Musikern. Und Stillstand bedeutet Rückschritt.”

 

Was war das grösste Hindernis, dass Sarah in ihrer Laufbahn überwinden musste? “Eine Frau zu sein. Und dann noch eine, die Pedal Steel spielt. Heute ist das einfacher, aber als ich begann, waren Frauen in wichtigen Positionen der Musikindustrie nicht anzutreffen. Und die Männerwelt hat eben von Dir erwartet, mindestens doppelt so gut wie ein Mann zu sein, damit sie dich akzeptierten.”

 

Kann sie Steve Earle’s Statement “Country Music ist wie Varieté, es ist für jeden Geschmack etwas dabei” ebenfalls überzeugen? “Definitiv”, meint Sarah, “ich mag die Meinung der Leute nicht, die eine sehr enge Auslegung von Country Music haben. Diese Musik hat so viel zu bieten. Wenn Du diese Musik in Kategorien einteilen willst, dann verpasst Du die Vielfältigkeit. Niemand hat gesagt, dass Country Music nur aus drei Akkorden bestehen darf. Aber es darf nicht so weit gehen, dass nur noch Geld und Marketing bestimmen, wer im Country Music Business Erfolg hat und wer nicht. Am Ende setzen sich hoffentlich diejenigen Musiker mit Qualität, Eigenständigkeit und Ausdauer durch.”

 

Und welche Frage, die heute nicht gestellt wurde, würde sie sich in einem Interview selber stellen? “(Pause…) Die Frage muss ich aufschreiben. Dies ist das erste Interview, bei dem ich auf eine Frage sprachlos bin. Ich habe noch nie fast eine halbe Minute geschwiegen…Was würde ich mich fragen? Keine Ahnung.”

 

Dafür hat Sarah von Musik eine ganze Menge Ahnung.