Interview mit
Vor sechs Jahren habe ich zuletzt ein
Interview mit Sarah Jory geführt. Grund genug, wieder
einmal zu plaudern und heraus zu finden,
was sich in den letzten Jahren so getan hat. Das vermutlich wichtigste Ereignis
fand erst kürzlich statt: Sarah hat geheiratet. Und sich in den Flitterwochen
auf Jamaica eine Bräune zugelegt, die uns hier in
der winterlichen Kälte neidisch werden lässt.
bm: Sarah,
seit unserem letzten Interview sind sechs Jahre vergangen. Wie würdest du die
Veränderungen in dieser Zeit beschreiben?
SJ: Ich bin ein bisschen
erwachsener geworden, hoffe ich. Musikalisch habe ich mich nicht verändert,
ausser, dass ich damals noch einen Plattenvertrag hatte. Heute
nicht mehr, deshalb konnte ich musikalisch zu dem zurück
kehren, was ich im Inneren als Künstlerin fühle. Verträge sind grossartig, aber manchmal versuchen die Labelbosse, dich zu
verändern, in eine Richtung zu drücken, die dir nicht entspricht. Ich versuchte
ihnen klar zu machen, dass ich nicht nur Sängerin, sondern vor allem Musikerin
bin. Sie wollten aber nie Aufnahmen mit meinen Instrumenten für Pressematerial
verwenden. Seit einiger Zeit mache ich alles selber. Mein neustes Projekt
ist eine DVD über die Möglichkeiten der Steel Guitar.
Wir werden darin viele Grenzen sprengen. Wenn alles klappt, kommt die Scheibe
Anfang Sommer heraus.
bm: Bist du
momentan bei keinem Label unter Vertrag?
SJ: Ich kann nur soviel sagen, dass ich
in Verhandlungen stehe. Ausser dir weiss
das noch fast keiner. In einigen Monaten sollte alles klar sein.
bm: Ist es ein
grosses oder ein kleines Label?
SJ: Mehr will ich im Moment nicht sagen.
Aber als sie mich kontaktierten, habe ich klar gestellt, dass ich seit über
25 Jahren in diesem Geschäft bin und schon verschiedene Plattenverträge hatte.
Diesmal muss es so laufen, wie ich es mir vorstelle, sonst lasse ich es lieber
bleiben. Das soll nicht überheblich klingen, aber es macht für mich persönlich
nur Sinn, wenn ich meine Linie konsequent weiter verfolgen kann. Meine Fans
sollen nicht enttäuscht sein, wenn sie nach einem Konzert ein Album von mir
kaufen und feststellen, dass da eine komplett „andere“ Künstlerin vorgestellt
wird.
bm: Ich habe
schon viele deiner Shows gesehen und du stehst, wie du selber sagtest, seit
26 Jahren auf der Bühne. Woher nimmst du
bloss diese Energie bei deinen, noch immer über
zweihundert Auftritten pro Jahr?
SJ: Ich liebe es immer
noch aufzutreten. Und ich habe eine ausgezeichnete Gesichtscreme, um die Falten
zu verstecken (lacht). Ich mag dieses Geschäft, dieses Leben. Auf der Bühne zu
stehen und die Leute mit der Musik zu erreichen ist das Grösste
für mich. Klar fordert es dich physisch…
bm: …vor
allem, solange du dein Instrument noch selber auf die Bühne schleppst…
SJ: …da lass ich keinen
ran. Zudem ist genau das der Grund, warum ich mich inzwischen selber manage.
Man hat immer versucht, mir zu sagen, dass ich als Star dies oder jenes nicht
mehr tun darf, zu welchen Gagen ich nicht auftreten soll, etc. Ich will das
selber bestimmen können, solange es mir Spass macht.
bm: Wenn du
eine Zeitreise machen könntest, wohin würde sie führen?
SJ: Musikalisch in die späten 50er und
frühen 60er Jahre. Die Zeiten, als Gitarrensound in den Vordergrund trat. Ich habe leider solche Zeiten nicht persönlich erleben
dürfen. Aber es muss grossartig gewesen sein, als
die Leute zum ersten Mal Künstler wie Chuck Berry oder Elvis am Radio hörten.
Diese Zeit hat musikalisch so viel in Bewegung gesetzt, ganze Generationen
verändert. Als Zuhörer liebe ich die Musik der 70er. Die heutige Musik versucht
Generationen eher zu beeinflussen, als sie zu verändern. Welche der heute
aktuellen Songs werde ich meinen Enkeln vorsingen? Sicher nichts aus dieser
Zeit, aber nach wie vor Lieder von Patsy Cline, Brenda Lee oder den Beatles.
bm: In welche
Zeit würdest du in Bezug auf dein Lieblingsinstrument, die Steel Guitar, reisen?
SJ: Nun, das ist eine total andere Geschichte.
Früher war Pedal Steel das Instrument, das irgendwo im Hintergrund auf der
Bühne stand und der Musiker ein bisschen Begleitsound spielte. In den Vordergrund
kam dieses Instrument erst in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren. Meine
Helden, wie Buddy Emmons oder Lloyd Green, haben
viel zur Popularität der Pedal Steel beigetragen. Ich stelle vor allem zu
Hause in England fest, dass dieses Instrument in immer mehr verschiedenen
Musikstilen eingesetzt wird.
bm: Das
bringt mich dazu, eine später geplante Frage vorzuziehen. In Europa sind von
den Steel Guitar Conventions
der früheren Jahre viele verschwunden. Wäre das nicht der Moment, eine
Europäische Steel Convention mit dem Zugpferd
SJ: Ja, absolut. Man hat
mich deswegen sogar schon angefragt. Mein „Problem“ im Moment ist, dass ich
total beschäftigt bin mit all meinen Projekten und über zweihundert Auftriten pro Jahr. Es ist also ein Zeitproblem. Eine solche
Convention organisierst du nicht nebenbei. Du brauchst Sponsoren, die Top
Spieler, die du bringen musst, um attraktiv zu
sein, wollen auch etwas verdienen. Das Ganze ist einfach enorm aufwendig.
Aber so eine Convention irgendwo zentral in Europa würde helfen, neue Talente
zu entdecken. Ich selbst spielte an einer Convention in Holland, als ich dreizehn
Jahre alt war. Leider starb der Veranstalter und niemand hat den Anlass weiter
geführt. In den USA gibt’s nach wie vor viele Conventions.
Der grösste findet in St. Louis im September statt und diese Woche
läuft gerade eine in Dallas.
bm: 1999 hast
du mir erzählt, eines der grössten Hindernisse in
diesem Geschäft sei, als Frau zu bestehen – erst recht als eine, die Steel Guitar spielt. Wie hast du dieses Hindernis überwunden?
SJ: Ich bin zufriedener mit mir selber und habe
meine Denkweise geändert. Wenn du immer nur das Hindernis siehst, findest du
nie Wege, es zu umgehen. Ich bin jetzt Mitte Dreissig.
Früher hiess es: „Nun, sie ist ganz gut, wird aber irgendwann
heiraten und Kinder kriegen, dann hat sich die Geschichte.“ Jetzt habe ich nach
so langer Zeit allen und mir selber bewiesen, dass ich immer noch da bin. Das
Hindernis existiert in meinem Denken nicht mehr. Ich muss nichts mehr beweisen.
bm: Hast du
einen Glücksbringer?
SJ: Ja, mein Pick Bag.
Das kleine Ding, das an meinem Instrument hängt und worin ich meine Fingerpicks und sonstiges Kleinmaterial für meine Pedal Steel
aufbewahre. Lloyd Green hat mir das geschenkt, als ich zwölf Jahre alt war.
Es ist handgemacht, trägt sogar Lloyd’s Initialen, LG und begleitet mich seit
jeher.
bm: Wenn du
eine Autobiografie schreiben würdest, welchen Titel hätte sie?
SJ: (schweigt eine Weile) Ich hab vor einigen
Jahren mal einen Song aufgenommen mit dem Titel I Tell It Like It Used To Be. Und jemand aus
der Band sagte danach im Studio: No,
Tell It Like It
Is. Ich glaube, das wäre ein guter Titel: „Ich sage, wie es wirklich ist“. Nicht alle würden vielleicht toll
finden oder glauben, was ich da alles zu erzählen hätte, aber das wäre der
Titel des Buches.
bm: Beim letzten
Gespräch hast du gesagt, dass die Leute offener für die Variationen der Country
Music sein sollten, dass aber niemals
das Marketing der Musik vorangestellt werden darf. Heute sind wir leider doch
an diesem Punkt angelangt. Wie weit würdest du gehen, um deine Karriere am
Laufen zu halten?
SJ: Das ist eine einfache und gleichzeitig
eine schwierige Frage. Einfach ist die Frage mit Blick auf meine heutige Situation.
Ich habe momentan die totale Kontrolle über meine Karriere und mein Leben
und mache nur, was mir Spass macht. Schwierig ist
die Frage, wenn ich einen Supervertrag hätte, und meine ganze Karriere vom
Erfolg der nächsten CD abhängen würde. Ich würde dann soweit wie nötig gehen,
ohne jedoch mein eigenes Ich zu verleugnen. Ich will mir selber treu bleiben,
das ist das Wichtigste.
bm: Wenn die
Menschen in fünfzig Jahren auf deine Karriere zurück blicken, was hoffst du,
dass sie über dich sagen werden?
SJ: Sie hatte Spass
an dem, was sie tat (lacht). Und sie hat immer als hundert Prozent gegeben und
war eine nette Person. So haben mich meine Eltern erzogen und wenn – was Gott
verhindern möge – sie einmal nicht mehr da sind, bin ich sicher, dass sie von
da oben beobachten, ob ich so bleibe, wie ich bin.
bm: Vor sechs
Jahren wolltest du die nächste Frage aufschreiben, weil du nach eigenen Aussagen
das erste Mal in einem Interview trotz langem Nachdenken keine Antwort hattest.
Hier kommt sie noch mal: Wenn du
SJ: Nein, das ist
gemein…(lacht). Einige Dinge ändern sich nie, dazu gehört wohl deine letzte
Interview Frage…(denkt wieder lange nach). Nein, wir haben soviel abgedeckt.
Ich glaub’s nicht, aber ich habe wieder keine Antwort
(lacht). Du hast mich wieder voll erwischt.
bm: Auch gut,
lass es uns in ein paar Jahren das nächste Mal versuchen (Gelächter).
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.