Interview mit Tony Lewis

© January 1998 / Bruno Michel

 

Ich sprach mit Tony Lewis in einer hektischen Zeit während der letzten Vorbereitungsarbeiten zur Produktion seiner neuen CD, Dancin’ On The Edge, über seinen Weg in die Schweiz, seine Einflüsse beim Songschreiben und natürlich über die neue Scheibe.

 

bm: Tony, Du bist ursprünglich Kalifornier, hast lange auf Hawaii gelebt und danach die ganze Welt bereist. Was bewegt jemanden wie Dich dazu, sich die Schweiz danach als Wohnort auszusuchen ?

TL: Leben bedeutet mehr als weisse Sandstrände, herumhängen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Nachdem ich dreizehn Jahre in der Welt herumgereist war und in über 30 Ländern gespielt habe, dachte ich mir : Langsam wirst Du älter und solltest seriös darangehen, Dir eine sichere Existenz mit Deiner Musik aufzubauen. Also irgendwo sesshaft werden. Ich entschied mich, dass meine neue Heimat entweder in Frankreich, Italien oder in der Schweiz liegen sollte. Letztendlich “gewann” die Schweiz.

 

bm: Dreizehn Jahre herumreisen. Wie muss man sich das vorstellen ?

TL: Nun ich war meistens solo unterwegs, und auch nicht alle Tage woanders. So spielte ich beispielsweise sieben Monate in Neuseeland, dann in Australien für einige Zeit und danach wieder in Italien für ein halbes Jahr. Aber meinen ersten professionellen Job als Musiker hatte ich in Zermatt 1975.

 

bm: Irgendwann warst Du aber auch noch eine Art Reiseleiter in den USA ?

TL: Das war ein interessanter Zufall. 1988 entschied ich, es nochmals in den USA zu versuchen. Ich muss zugeben, dass ich den Rest der Welt fast besser kannte als mein eigenes Heimatland. Zurück “daheim”  musste ich feststellen, dass mir die verschiedenen Menschen und Kulturen, die ich kennengelernt hatte, fehlten. Jobs als Musiker gab es genug. Aber Du warst nur erfolgreich, wenn Du die Top 40 jeden Abend rauf- und runterspielen konntest. Ich schrieb aber schon immer meine eigenen Songs. Nur, davon konnte ich in den USA nicht leben. Also sagte ich mir : Du sprichst fünf Sprachen und hast eine Ahnung vom Reisen. Ich wurde folgerichtig Reiseleiter für europäische Besucher. Wie gesagt, ich kannte mein Land nicht sehr gut, also musste ich mich vor jeder Tour in eine Menge Material einlesen, damit ich den Reiseteilnehmern die lokale Geschichte erklären konnte. Das lief ungefähr so ab, dass ich eine Gruppe Europäer in New York übernahm und sie in 3 Wochen mit dem Bus nach Los Angeles begleitete. Wir machten zweistündige Stadtbesichtigungen in Toronto oder Chicago, in Städten, die weder ich noch der Busfahrer je gesehen hatten. Dazu den Bus voller Franzosen, Italiener und Spanier und ich, mittendrin im Sprachgewirr, habe versucht, dieser multikulturellen Truppe die jeweiligen Sehenswürdigkeiten zu erklären. Diesen Job machte ich fast drei Jahre.

 

bm: Wie kam es dann zur Rückbesinnung auf Deine ursprüngliche Musiker-Karriere ?

TL: Eines Abends sass ich mit einigen Amerikanern zusammen und die fragten mich : “Was machst Du so”. Ich antwortete : “Ich bin Fremdenführer”. Plötzlich passierte etwas in mir . Ich korrigierte mich : “Nein, halt. Ich bin Musiker”. Innert drei Monaten gab ich den Job auf und fuhr nach Europa. Mein Entscheid war gefallen : Zurück zur Musik.

 

bm: Dort haben die Leute ja auch nicht drei Jahre auf Deine Rückkehr gewartet. Wie ging es weiter ?

TL: Ich hatte bald ein Angebot, als Bandleader bei Suzanne Klee zu spielen. Da sagte ich zu. 1993 beschloss ich dann, meine eigene Band zu gründen : The Shooters. Und bis heute habe ich diesen Schritt nicht bereut. Ich wurde definitiv in der Schweiz ansässig und fühle mich hier auch zuhause.

 

bm: Wer sind Deine wichtigsten Vorbilder ausser Gulliver und Columbus ? Ich meine musikalisch.

TL: James Taylor, Van Morrison, Hank Williams sr, um nur einige zu nennen. Es gab und gibt so viele grossartige Musiker, dass ich mit der Liste meiner Favoriten den Platz für diesen Artikel füllen könnte.

 

bm: Gibt es für Dich einen Unterschied vom Live Musiker zum Songwriter ?
TL: Es gibt Künstler, die keinen Unterschied sehen, andere schon. Ich gehöre zur letzteren Kategorie. Meine Lieder sind für mich Kinder. Ich habe eine Beziehung zu ihnen. Live bringe ich weniger Balladen als auf einer CD. Zuhause können die Leute den Text lesen und gegebenenfalls übersetzen. An einem Festival ist dies nicht möglich. Zudem wollen sich die Leute dort amüsieren, also passe ich meine Songauswahl dementsprechend an.

 

bm: Das Profi-Musiker-Leben in der Schweiz ist immer noch ein hartes Geschäft. Was müsste sich in der Schweiz ändern, damit es einfacher wird ?

TL: Jedermann müsste viel mehr Kinder haben. Nein, wirklich. Wenn Du annimmst, dass ein bestimmter Prozentsatz der Musikfreunde auf Country Music stehen, dann ist die absolute Zahl des Publikums in der Schweiz eben kleiner als wenn derselbe prozentuale Anteil in Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien ansteht um Konzerte zu besuchen oder CD’s zu kaufen. Auch im deutschen Markt gibt es eine grosse Country Szene und viele ausgezeichnete Musiker. Aber ich kann mir nicht vorstellen, Country Music mit deutschem Text zu singen. So spielen wir dieses Jahr zum Beispiel in Frankreich, Italien, Spanien, Norwegen und Schweden. Möglicherweise auch in Holland. Wir beklagen uns nicht, dass die Schweiz zu klein ist, aber wir müssen auch als Musiker Grenzen überspringen.

 

bm: Reden wir über Dein neuestes Werk “Dancin’ On The Edge”. Warum dauerte es drei Jahre seit der letzten Produktion?

TL: Ich wollte letztes Jahr schon eine neue CD herausgeben. Aber irgendwie hingen die Songs für mich nicht zusammen. Es gab keinen roten Faden. Also beschloss ich, das ganze zu verschieben, bis ich das Gefühl hatte, dass alles passt. Nun ist es soweit. Es hat viele Songs drauf, die mit persönlichen Erlebnissen zusammenhängen, wie “Make A Little Noise” oder “When Josephine Went Dancin’”. Der erste Song handelt von zwei Leuten, die heute verstorben sind - die ganze Story kann man im Booklet nachlesen. Der zweite besingt eine 95jährige ehemalige Bordellbesitzerin, die ich in Deadwood, South Dakota, traf. Sie hat die ganze Veränderung der Welt seit dem Wilden Westen erlebt. Eine zierliche, schmale Person, die so viele Geschichten erzählen kann. Jeden Freitag abend trifft man sie im Old Style Saloon, einer Kneipe, die es seit mehr als hundert Jahren gibt. Dort tanzt sie und alle - auch die jungen Männer - stehen Schlange um mit ihr zu tanzen. Diese Erlebnisse haben mich so stark bewegt, dass die Songs daraus entstanden sind.

 

bm: Deine Songs beinhalten Blues, Rock und andere Elemente. Wie denkst Du vereinbart sich das mit den Erwartungen der Traditionalisten ?

TL: Songs die ich schreibe haben viele Einflüsse anderer Stilrichtungen. Trotzdem liebe ich selbst traditionellen Country. Natürlich klingt dieses Album für jemanden, der nur Buck Owens und Johnny Cash in seiner Sammlung hat, etwas anders.

Obwohl ich natürlich die Scheiben verkaufen will, schreibe ich nicht mit kommerzieller Optik. Vielleicht wäre das finanziell besser für mich, aber wenn mir eine Melodie in den Sinn kommt, achte ich nicht darauf, sondern schreibe den Song.

 

bm: Das ist vielen Deiner Fans auch lieber so. Wir wünschen Dir jedenfalls für dein neuestes Werk viel Erfolg und hoffen, Dich noch bei manchem Anlass geniessen zu können. Vielen Dank für das Gespräch.

TL: Ich bedanke mich ebenfalls.