Die Liste der, von Mitgliedern der Lonesome
River Band gewonnenen, IBMA-Awards ist lang und wird
in den nächsten Jahren wohl noch länger. Als Gruppe waren sie in verschiedenen
Kategorien mehrfach nominiert und auch erfolgreiche Sieger. Als Einzelmusiker
ebenso. Banjospieler Sammy Shelor (SS) gewann viermal
als Instrumental Player of the Year,
Bassist und Sänger Ronnie Bowman (RB) war schon zweimal Vocalist
of the Year und holte sich je einmal den Award für Song und Album of the Year.
Mandolinenvirtuose Don Rigsby (DR) ist, ebenso wie
Kollege Kenny Smith (KS) an der Gitarre, ein erfolgreicher Soloartist – was im übrigen auch auf Ronnie und Sammy zutrifft.
Die vier sympathischen Jungs waren anlässlich ihrer Auftritte im Zürcher
Albisgüetli äusserst gesprächig.
bm: Seit 1983 gibt es die Lonesome
River Band. 1992 konntet Ihr mit Carrying the Tradition Euren ersten IBMA Award
verbuchen. Wie hat sich die Band entwickelt?
RB: Heute ist keines der Originalmitglieder mehr in der
Band. Sammy und ich sind seit 1990 dabei. Kenny seit drei und Don seit vier
Jahren. Es half uns, dass die Band schon einen Namen hatte, daher nahmen wir
diesbezüglich nie eine Änderung vor.
SS: Der letzte, der ursprünglichen Musiker verliess die Band
1995.
bm: Viele Künstler sagen, dass Karriere auf
ständigem Wandel aufbaut. Wie steht Ihr zu dieser Aussage?
DR: Veränderung muss schon stattfinden, aber nicht in Deiner
Persönlichkeit und auch nicht unbedingt betreffend Musikerwechsel. Stabilität
und Dauerhaftigkeit sind für eine Band ebenso wichtig. Du kannst eine Einheit bilden
und darauf aufbauen.
RB: Wir haben heute die Kombination von Leuten in der Band,
die musikalisch wie menschlich am besten funktioniert.
bm: Ihr habt schon sehr viele IBMA Awards abgeholt, sowohl als Einzelmusiker, wie als Band.
Plant ihr weitere Soloprojekte und wie wirken sich diese auf die Teamarbeit in
der Band aus?
RB: Wir werden auch weiterhin unsere Solokarrieren ausbauen.
Kenny wird der nächste mit einem Soloalbum sein. Dann wird Don folgen. Ich
selber werde ca. Ende dieses Jahres ein Projekt lancieren. Als Band bringen wir
möglicherweise noch 1999 wieder eine Produktion auf den Markt. Wir werden also
sehr beschäftigt sein.
SS: Was den Einfluss auf die Teamarbeit in der Band angeht:
Ich denke, unsere Einzelprojekte fördern und ergänzen sogar die Arbeit und die
Qualität der Band. Wir sind durch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern so
vielseitig geworden, dass es uns leicht fällt, spontan auf die Ideen anderer
einzugehen.
RB: Einige Leute dachten, dass es der Band eher schaden
würde. Aber wir haben bewiesen, dass es nicht nur jeden Einzelnen von uns
weiter bringt, sondern auch die Band als Ganzes. Unsere Fangemeinde hat sich
vergrössert, weil sich die Leute auch mit uns als Einzelmusiker identifizieren
können.
DR: Durch unsere Soloarbeit fühlen wir uns auch zufriedener.
Wir haben nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil wir nur als Band
auftreten.
bm: Ihr habt 2-3 Auftritte pro Woche in allen
möglichen Staaten der USA. Euer Terminplan ist heute schon bis Ende 1999 mehr
als gut gefüllt. Wie verbringt Ihr die langen Stunden auf Achse?
RB: Filme anschauen, lesen, komponieren. Don ist unser
Clown, er bringt laufend neue Witze und uns zum Lachen. Unser Soundman, Marty und Don haben eine einzigartige Beziehung
zueinander. Sie ziehen sich laufend auf und da gibt‘s
immer was zu lachen.
DR: Einkaufen – in allen Geschäften, die 24 Stunden offen
haben. Viel einkaufen.
SS: Und ich bin der Fahrer.
DR: Ja, Sammy ist der „DD“, der „Designated
Driver“. Marty ist auch ein „DD“, ein „Designated Drinker“ (Gelächter).
SS: …so hat jeder seinen Job.
RB: Wir kommen gut miteinander aus, und wenn nicht, lassen wir‘s den andern wissen.
SS: Auf 40 Fuss Buslänge müssen wir das auch. Aber jeder hat
sein eigenes Bett und wir haben drei Räume, in die sich jeder auch mal zurückziehen
kann. Dann wissen wir, dass er nicht gestört werden will.
bm: Könnt Ihr Euch an die lustigste
Begebenheit erinnern, die Euch auf Euren Tourneen passiert ist?
RB: Da gibt es viele. Nur ein Beispiel: Don ist sehr
kreativ. Er spielte mal „Bluegrass Barney“ (Barney, der purpurrote
Dinosaurier) und interpretierte Ralph-Stanley-Songs als Barney
(Gelächter)
bm: Und was war das frustrierendste
Erlebnis?
RB: (an die andern gerichtet) Wann wollten wir uns das
letzte Mal unter der Bühne verkriechen?
KS: Für mich war das, als wir einmal den Auftritt
verpassten. Der Bus versagte seinen Dienst mitten im Nirgendwo. Wir konnten auf
die Schnelle keinen Mietwagen organisieren. Letztlich mieteten wir einen Möbelwagen
um wenigstens zum übernächsten Auftritt zu gelangen.
DR: Und wir hätten den besser auch verpasst.
KS: Ja, wir waren so schlecht drauf, dass wir uns wirklich
am liebsten verkriechen wollten.
bm: Was hat Euch der Erfolg gegeben, was hat
er Euch genommen.
SS: Ich denke, genommen hat er uns nichts. Bluegrass ist eine sehr Fan-orientierte Musik. Wir haben
sehr enge Verbindung zu unseren Fans. Da machen wir viele neue Bekanntschaften.
Gegeben hat uns der Erfolg viel. Die Möglichkeit, von der Musik zu leben, Dir
nicht laufend Sorgen zu machen, wo die nächste Mahlzeit herkommt. Ich bin nun
rund 20 Jahre als Musiker unterwegs. Und die ersten 15 Jahre davon, musste ich
mir genau diese Gedanken machen. Also bin ich sehr froh, dass wir das heute
nicht mehr nötig haben. Reich werden wir zwar nicht, aber wir können die
Rechnungen zahlen und zufrieden sein. Was wollen wir mehr.
bm: Wie steht‘s mit
dem negativen Einfluss des Tourens auf das Familienleben?
RB: Das kommt drauf an, ob Dich Deine Familienmitglieder
unterstützen bei dem, was Du tust, oder nicht. Es gibt einen in dieser Runde, der
das erfahren musste, und ich sage nicht wer das ist, aber seine Initialen sind
RB. Ich vermisse meine Familie, aber es gibt Ereignisse, die Dir sagen, dass Du
das Richtige tust. Einmal kam ein Mann nach einem unserer Auftritte zu mir und
erzählte mir von einem Mädchen, dass kürzlich in der Kirche meinen Song Three Rusty Nails
ganz allein vorgetragen hatte. Zweihundert Leute in der Kirche hätten bei dem
Song vor Rührung geweint. „Wenn Du mal glaubst, dass Du den Leuten nichts Gutes
bringen kannst“, sagte er zu mir, „dann erinnere Dich daran, wie sehr Du uns
bewegt hast, ohne es zu wissen.“
DR: Wenn Du solchen Feedback bekommst, dann weisst Du, dass
Du Erfolg hast. Nicht in Form eines Checks, aber im Vermitteln von Gefühlen und
Stimmungen.
bm: Wie sucht Ihr die Songs für Eure Alben aus?
RB: Durch Fehler machen. In all den Jahren haben wir
gelernt, denselben Fehler nicht zweimal zu machen. Wir spielten eine zeitlang contemporary Bluegrass. Das hat
sich für uns nicht bewährt. Also kehrten wir vermehrt zum traditionellen Bluegrass zurück. Wir sehen, wie die Leute reagieren an
Konzerten. Erfolgreiche Songs bringen wir auf die Alben.
bm: Was ist für Euch in einem Song wichtiger?
Die Worte oder die Musik?
RB: Gleichwertig…
SS: …Text…(Gelächter). Ok,
vielleicht beides. Aber wir mögen die bedeutungsvollen Lieder, gute Texte, Stories erzählen.
KS: Beides, Du kannst die Melodie, das Tempo eines Songs
ändern, der Text, die Message, bleibt gleich.
bm: Ihr seid leuchtende Beispiele für viele Bluegrass Musiker. Wer sind Eure leuchtenden Beispiele?
DR: Tonnenweise…
SS: Ja, wirklich. Mit Jahrgang 62 habe ich die Glanzzeiten
von Bill Monroe, Flatt & Scruggs
etc. nicht erlebt. Jahre später erst habe ich die Musik dieser Leute schätzen
gelernt.
DR: Ich bin ein Stanley Brothers Freak. War ich schon immer
und werde ich immer sein. Der Gesang dieser Gruppe war schon beeindruckend. Und
Carter Stanley war einer der profiliertesten
Songschreiber überhaupt.
RB: Für mich ist es die „zweite“ Generation der Bluegrass Musiker. Bis ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich
von Bluegrass keine Ahnung. Ein Freund gab mir mal
ein paar Kassetten für‘s Auto :
Boone Creek, Tony Rice und Ricky Skaggs, so kam ich
dazu. Aber am meisten beeinflusst haben mich die Mitglieder unseres Gospelchors
in der Kirche. Egal wie gut oder schlecht ich war, sie fanden immer die
richtigen Worte, um mich weiter zu bringen. Mit vierzehn Jahren schrieb ich
meinen ersten Song für meine Mutter. Er war fürchterlich, aber sie liebte den
Song.
bm: Als Team seid Ihr sehr erfolgreich. Wie
bleibt Ihr mit den Füssen auf dem Boden?
RB: Wir akzeptieren jeden als Individuum. Du musst Dich
darauf konzentrieren, besser zu werden. Wenn Du sagst, ich bin gut, dann wirst
Du schlechter, weil Du Dich nicht mehr bemühst. Beurteile den Menschen nach
seinem Charakter, nicht nach seinem Äusseren oder seiner Stellung in der
Gesellschaft.
bm: Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft der Lonesome River Band?
SS: Die Band, so wie sie ist, zusammenzuhalten. Mindestens
für die nächsten 20 Jahre.
KS: Ja, zusammen bleiben. Wir wollen nicht noch einmal diese
Aufbauphase durchleben. Es ist sehr schwierig, vier Jungs zu finden, die so gut
zusammen passen.
RB: Ich teile diese Aussagen. Ich möchte wenn ich mal alt
bin, mit diesen Jungs essen gehen und dankbar
zurückblicken auf das, was wir zusammen erreicht haben.
DR: Weiterhin so gut spielen, dass die „alten“ Stars zu uns
kommen, und uns sagen, wie sehr sie unsere Musik mögen. Das gibt Dir wirklich
das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Wir wollen die Bluegrass
Musik am Leben erhalten, und auch das junge Publikum erreichen. Denn sonst
stirbt diese Musik eines Tages aus.
RB: Für viele ist Bluegrass immer
noch die Hinterwäldlermusik. Dagegen kämpfen wir an.
DR: Genau, das macht mich rasend. Idioten gibt es überall.
Auch bei uns. Aber ich kann genauso gut mitten in New York City oder Los
Angeles Leute finden, die bei weitem grössere Hinterwäldler sind, als alle, die
in meiner Gegend leben.
bm: Wenn Ihr die Lonesome
River Band interviewen müsstet, welche Frage würdet Ihr stellen, die ich nicht
gestellt habe?
RB: Sehr gute Frage. Lasst uns nachdenken Jungs…was würden
wir uns fragen…
DR: Möglicherweise, wer unser Designer ist (Gelächter)…
SS: Keine Ahnung.
DR: Ich weiss was. Ich geb Dir die
Antwort. Du bist derjenige, der das Interview macht, also weisst Du am besten,
was Du wissen willst. Frag doch selbst (Gelächter).
bm: Ein guter Schluss. Vielen Dank für das
Gespräch.