Interview mit Lonesome River Band

© February 1999 / Bruno Michel

 

Die Liste der, von Mitgliedern der Lonesome River Band gewonnenen, IBMA-Awards ist lang und wird in den nächsten Jahren wohl noch länger. Als Gruppe waren sie in verschiedenen Kategorien mehrfach nominiert und auch erfolgreiche Sieger. Als Einzelmusiker ebenso. Banjospieler Sammy Shelor (SS) gewann viermal als Instrumental Player of the Year, Bassist und Sänger Ronnie Bowman (RB) war schon zweimal Vocalist of the Year und holte sich je einmal den Award für Song und Album of the Year. Mandolinenvirtuose Don Rigsby (DR) ist, ebenso wie Kollege Kenny Smith (KS) an der Gitarre, ein erfolgreicher Soloartist – was im übrigen auch auf Ronnie und Sammy zutrifft.

Die vier sympathischen Jungs waren anlässlich ihrer Auftritte im Zürcher Albisgüetli äusserst gesprächig.

 

bm: Seit 1983 gibt es die Lonesome River Band. 1992 konntet Ihr mit Carrying the Tradition Euren ersten IBMA Award verbuchen. Wie hat sich die Band entwickelt?

RB: Heute ist keines der Originalmitglieder mehr in der Band. Sammy und ich sind seit 1990 dabei. Kenny seit drei und Don seit vier Jahren. Es half uns, dass die Band schon einen Namen hatte, daher nahmen wir diesbezüglich nie eine Änderung vor.

SS: Der letzte, der ursprünglichen Musiker verliess die Band 1995.

 

bm: Viele Künstler sagen, dass Karriere auf ständigem Wandel aufbaut. Wie steht Ihr zu dieser Aussage?

DR: Veränderung muss schon stattfinden, aber nicht in Deiner Persönlichkeit und auch nicht unbedingt betreffend Musikerwechsel. Stabilität und Dauerhaftigkeit sind für eine Band ebenso wichtig. Du kannst eine Einheit bilden und darauf aufbauen.

RB: Wir haben heute die Kombination von Leuten in der Band, die musikalisch wie menschlich am besten funktioniert.

 

bm: Ihr habt schon sehr viele IBMA Awards abgeholt, sowohl als Einzelmusiker, wie als Band. Plant ihr weitere Soloprojekte und wie wirken sich diese auf die Teamarbeit in der Band aus?

RB: Wir werden auch weiterhin unsere Solokarrieren ausbauen. Kenny wird der nächste mit einem Soloalbum sein. Dann wird Don folgen. Ich selber werde ca. Ende dieses Jahres ein Projekt lancieren. Als Band bringen wir möglicherweise noch 1999 wieder eine Produktion auf den Markt. Wir werden also sehr beschäftigt sein.

SS: Was den Einfluss auf die Teamarbeit in der Band angeht: Ich denke, unsere Einzelprojekte fördern und ergänzen sogar die Arbeit und die Qualität der Band. Wir sind durch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern so vielseitig geworden, dass es uns leicht fällt, spontan auf die Ideen anderer einzugehen.

RB: Einige Leute dachten, dass es der Band eher schaden würde. Aber wir haben bewiesen, dass es nicht nur jeden Einzelnen von uns weiter bringt, sondern auch die Band als Ganzes. Unsere Fangemeinde hat sich vergrössert, weil sich die Leute auch mit uns als Einzelmusiker identifizieren können.

DR: Durch unsere Soloarbeit fühlen wir uns auch zufriedener. Wir haben nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil wir nur als Band auftreten.

 

bm: Ihr habt 2-3 Auftritte pro Woche in allen möglichen Staaten der USA. Euer Terminplan ist heute schon bis Ende 1999 mehr als gut gefüllt. Wie verbringt Ihr die langen Stunden auf Achse?

RB: Filme anschauen, lesen, komponieren. Don ist unser Clown, er bringt laufend neue Witze und uns zum Lachen. Unser Soundman, Marty und Don haben eine einzigartige Beziehung zueinander. Sie ziehen sich laufend auf und da gibt‘s immer was zu lachen.

DR: Einkaufen – in allen Geschäften, die 24 Stunden offen haben. Viel einkaufen.

SS: Und ich bin der Fahrer.

DR: Ja, Sammy ist der „DD“, der „Designated Driver“. Marty ist auch ein „DD“, ein „Designated Drinker“ (Gelächter).

SS: …so hat jeder seinen Job.

RB: Wir kommen gut miteinander aus, und wenn nicht, lassen wir‘s den andern wissen.

SS: Auf 40 Fuss Buslänge müssen wir das auch. Aber jeder hat sein eigenes Bett und wir haben drei Räume, in die sich jeder auch mal zurückziehen kann. Dann wissen wir, dass er nicht gestört werden will.

 

bm: Könnt Ihr Euch an die lustigste Begebenheit erinnern, die Euch auf Euren Tourneen passiert ist?

RB: Da gibt es viele. Nur ein Beispiel: Don ist sehr kreativ. Er spielte mal „Bluegrass Barney“ (Barney, der purpurrote Dinosaurier) und interpretierte Ralph-Stanley-Songs als Barney (Gelächter)


bm: Und was war das frustrierendste Erlebnis?

RB: (an die andern gerichtet) Wann wollten wir uns das letzte Mal unter der Bühne verkriechen?

KS: Für mich war das, als wir einmal den Auftritt verpassten. Der Bus versagte seinen Dienst mitten im Nirgendwo. Wir konnten auf die Schnelle keinen Mietwagen organisieren. Letztlich mieteten wir einen Möbelwagen um wenigstens zum übernächsten Auftritt zu gelangen.

DR: Und wir hätten den besser auch verpasst.

KS: Ja, wir waren so schlecht drauf, dass wir uns wirklich am liebsten verkriechen wollten.

 

bm: Was hat Euch der Erfolg gegeben, was hat er Euch genommen.

SS: Ich denke, genommen hat er uns nichts. Bluegrass ist eine sehr Fan-orientierte Musik. Wir haben sehr enge Verbindung zu unseren Fans. Da machen wir viele neue Bekanntschaften. Gegeben hat uns der Erfolg viel. Die Möglichkeit, von der Musik zu leben, Dir nicht laufend Sorgen zu machen, wo die nächste Mahlzeit herkommt. Ich bin nun rund 20 Jahre als Musiker unterwegs. Und die ersten 15 Jahre davon, musste ich mir genau diese Gedanken machen. Also bin ich sehr froh, dass wir das heute nicht mehr nötig haben. Reich werden wir zwar nicht, aber wir können die Rechnungen zahlen und zufrieden sein. Was wollen wir mehr.

 

bm: Wie steht‘s mit dem negativen Einfluss des Tourens auf das Familienleben?

RB: Das kommt drauf an, ob Dich Deine Familienmitglieder unterstützen bei dem, was Du tust, oder nicht. Es gibt einen in dieser Runde, der das erfahren musste, und ich sage nicht wer das ist, aber seine Initialen sind RB. Ich vermisse meine Familie, aber es gibt Ereignisse, die Dir sagen, dass Du das Richtige tust. Einmal kam ein Mann nach einem unserer Auftritte zu mir und erzählte mir von einem Mädchen, dass kürzlich in der Kirche meinen Song Three Rusty Nails ganz allein vorgetragen hatte. Zweihundert Leute in der Kirche hätten bei dem Song vor Rührung geweint. „Wenn Du mal glaubst, dass Du den Leuten nichts Gutes bringen kannst“, sagte er zu mir, „dann erinnere Dich daran, wie sehr Du uns bewegt hast, ohne es zu wissen.“

DR: Wenn Du solchen Feedback bekommst, dann weisst Du, dass Du Erfolg hast. Nicht in Form eines Checks, aber im Vermitteln von Gefühlen und Stimmungen.

 

bm: Wie sucht Ihr die Songs für Eure Alben aus?

RB: Durch Fehler machen. In all den Jahren haben wir gelernt, denselben Fehler nicht zweimal zu machen. Wir spielten eine zeitlang contemporary Bluegrass. Das hat sich für uns nicht bewährt. Also kehrten wir vermehrt zum traditionellen Bluegrass zurück. Wir sehen, wie die Leute reagieren an Konzerten. Erfolgreiche Songs bringen wir auf die Alben.

 

bm: Was ist für Euch in einem Song wichtiger? Die Worte oder die Musik?

RB: Gleichwertig…

SS: …Text…(Gelächter). Ok, vielleicht beides. Aber wir mögen die bedeutungsvollen Lieder, gute Texte, Stories erzählen.

KS: Beides, Du kannst die Melodie, das Tempo eines Songs ändern, der Text, die Message, bleibt gleich.

 

bm: Ihr seid leuchtende Beispiele für viele Bluegrass Musiker. Wer sind Eure leuchtenden Beispiele?

DR: Tonnenweise…

SS: Ja, wirklich. Mit Jahrgang 62 habe ich die Glanzzeiten von Bill Monroe, Flatt & Scruggs etc. nicht erlebt. Jahre später erst habe ich die Musik dieser Leute schätzen gelernt.

DR: Ich bin ein Stanley Brothers Freak. War ich schon immer und werde ich immer sein. Der Gesang dieser Gruppe war schon beeindruckend. Und Carter Stanley war einer der profiliertesten Songschreiber überhaupt.

RB: Für mich ist es die „zweite“ Generation der Bluegrass Musiker. Bis ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich von Bluegrass keine Ahnung. Ein Freund gab mir mal ein paar Kassetten für‘s Auto : Boone Creek, Tony Rice und Ricky Skaggs, so kam ich dazu. Aber am meisten beeinflusst haben mich die Mitglieder unseres Gospelchors in der Kirche. Egal wie gut oder schlecht ich war, sie fanden immer die richtigen Worte, um mich weiter zu bringen. Mit vierzehn Jahren schrieb ich meinen ersten Song für meine Mutter. Er war fürchterlich, aber sie liebte den Song.

 

bm: Als Team seid Ihr sehr erfolgreich. Wie bleibt Ihr mit den Füssen auf dem Boden?

RB: Wir akzeptieren jeden als Individuum. Du musst Dich darauf konzentrieren, besser zu werden. Wenn Du sagst, ich bin gut, dann wirst Du schlechter, weil Du Dich nicht mehr bemühst. Beurteile den Menschen nach seinem Charakter, nicht nach seinem Äusseren oder seiner Stellung in der Gesellschaft.

 

bm: Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft der Lonesome River Band?

SS: Die Band, so wie sie ist, zusammenzuhalten. Mindestens für die nächsten 20 Jahre.

KS: Ja, zusammen bleiben. Wir wollen nicht noch einmal diese Aufbauphase durchleben. Es ist sehr schwierig, vier Jungs zu finden, die so gut zusammen passen.

RB: Ich teile diese Aussagen. Ich möchte wenn ich mal alt bin, mit diesen Jungs essen gehen und dankbar zurückblicken auf das, was wir zusammen erreicht haben.

DR: Weiterhin so gut spielen, dass die „alten“ Stars zu uns kommen, und uns sagen, wie sehr sie unsere Musik mögen. Das gibt Dir wirklich das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Wir wollen die Bluegrass Musik am Leben erhalten, und auch das junge Publikum erreichen. Denn sonst stirbt diese Musik eines Tages aus.

RB: Für viele ist Bluegrass immer noch die Hinterwäldlermusik. Dagegen kämpfen wir an.

DR: Genau, das macht mich rasend. Idioten gibt es überall. Auch bei uns. Aber ich kann genauso gut mitten in New York City oder Los Angeles Leute finden, die bei weitem grössere Hinterwäldler sind, als alle, die in meiner Gegend leben.

 

bm: Wenn Ihr die Lonesome River Band interviewen müsstet, welche Frage würdet Ihr stellen, die ich nicht gestellt habe?

RB: Sehr gute Frage. Lasst uns nachdenken Jungs…was würden wir uns fragen…

DR: Möglicherweise, wer unser Designer ist (Gelächter)…

SS: Keine Ahnung.

DR: Ich weiss was. Ich geb Dir die Antwort. Du bist derjenige, der das Interview macht, also weisst Du am besten, was Du wissen willst. Frag doch selbst (Gelächter).

 

bm: Ein guter Schluss. Vielen Dank für das Gespräch.