Interview mit den Mariotti Brothers – Instrumental Virtuosen aus Frankreich

 

© Mai 2006 / Bruno Michel

 

Wenn zwei Brüder einen Vater haben, der als E-Gitarre Pionier der französischen Musikszene gilt, und mit Stars wie Johnny Halliday oder Eddie Mitchell aufgetreten ist, dann ist der Weg dieser Brüder vorgezeichnet.
Genau so war es bei Philippe und Laurent Mariotti. Die beiden sind nicht nur Absolventen klassischer Musikausbildungen, sie gelten in Frankreich und Umgebung als Ausnahme-Instrumentalisten. Beide lehren heute ihre Schüler, wie man Instrumente beherrscht, und nicht nur auf ihnen herum klimpert. Philippe am Konservatorium in Paris, Laurent und in Lausanne.

Zum Country kamen sie durch ihre Eltern, die sie mit dem Sound von Kris Kristofferson, Waylon Jennings, Merle Haggard und anderen in Kontakt brachte. Kosequenter Weise spielt Vater Jean-Pierre in der Band seiner Söhne Gitarre und Steel. Letzteres Instrument spielte er schon, lange bevor es in Frankreich populär wurde. Die beiden Söhne haben die Klassik aber nicht verlassen, sondern absolvieren mindestens genau so viele Auftritte in jener Szene wie auf Country Festivals.

Als vielbeschäftigte Musiklehrer haben sie trotz ihres Könnens relativ wenige Auftritte. Diese aber können sich sowohl sehen wie auch hören lassen. Eine dieser Gelegenheiten bot sich am 12. International Festival de Country Music im genferischen Lancy. Dieser Traditionsanlass, organisiert vom umtriebigen Szene Profi Cowboy Kurt Hann, ist immer wieder für musikalische Überraschungen gut. Klarerweise wollte ich von den beiden Brüdern etwas mehr zu ihrer Vorliebe für Musik wissen.

bm: Philippe und Laurent, abgesehen von eurem vorletzten Album, Delightfully Covered, schreibt ihr all eure Songs selbst. Was ist für euch wichtiger in einem Lied, die Worte oder die Musik?
LM: ich glaube, in der Country Music sind es die Worte. Wenn wir schreiben, dann das, was wir gerade fühlen, die Stimmung des Tages, den Ärger mit der Freundin.
PM: Stimmt schon. Aber bei mir beginnt es manchmal damit, dass ich meine Stimmung in ein paar Akkorden ausdrücke und die Worte kommen wie von selbst zur Melodie.
LM: Ja, manchmal wachst du nachts auf und hast eine Melodie im Kopf und die Worte sprudeln gleich mit aus dir heraus. Dann muss ich aufstehen und mitschreiben.

bm: Ihr beide habt, fast noch als Kleinkinder, eine sehr fundierte musikalische Ausbildung begonnen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr diese Entscheidung damals selbst getroffen habt. Wie stark hat euch Jean-Pierre da beinflusst?
LM: Wir fingen mit Klassik an. Philippe noch vor mir, da er fünf Jahre älter ist…
PM: …ich begann mit sechs Jahren zu musizieren...
LM: …und ich schon mit vier. Mein Vater als Profi Musiker meinte, dass wir ein Instrument beherrschen sollten. Also fing ich mit Violine und Gitarre an und Philippe mit Gitarre. Papa hörte zu jener Zeit Country und den typischen California Sound mit den Eagles und so weiter an. Wir fanden aber Waylon Jennings oder George Jones besser. Wir sind bis heute der traditionellen Country Music näher als dem aktuellen Nashville Sound.

bm: Damit habt ihr meine geplante nächste Frage eigentlich schon beantwortet. Jemand, der eine klassische Musikausbildung genoss, tut sich wohl schwer mit Techno und Computersound, also rein elektronisch erzeugter Musik – trotz eures relativ jungen Alters.
LM: Stimmt. Deshalb verwenden wir auch keine Synthesizer auf der Bühne. Klar, manchmal wär’s toll, wenn du in gewissen Songs ein elektronisches Piano simulieren könntest. Aber das ist nicht unser Ding.

bm: Mit welchem Künstler würdet ihr gern einmal gemeinsam auftreten und warum?
LM: Das geht leider nicht mehr. Mein Favorit wäre Elvis. Aber der ist tot. Von den aktuellen würde ich Dwight Yoakam oder Brad Paisley wünschen. Ich mag wie gesagt den so genannten New Country nicht besonders. Aber Leute wie Brad oder Alan Jackson bleiben der traditionellen Musik treu, deshalb finde ich sie toll.
PM: Dem kann ich mich nur anschliessen. Für mich wäre, neben den Genannten, auch George Jones noch ein Wunschkandidat.

bm: Wir haben den aktuellen Nashville Sound schon angesprochen, bei dem Marketing oft wichtiger scheint, als die Musik selbst. Sehe gut aus, dann ist’s egal ob du singen oder spielen kannst. Man wird dich verkaufen.
LM: So kann und will ich nicht denken. Wir sind anders, mussten unser Können hart erarbeiten und tun es heute noch. Ein Instrument zu beherrschen geht nicht von heute auf morgen.
PM: Speziell in der klassischen Musik wirst du immer wieder von noch besseren Experten beurteilt, musikalisch wie technisch. Spielst du die Stücke mit Respekt, berücksichtigst du in deinem Spiel die Zeit, in der das Stück geschrieben wurde, usw. Wir machen dasselbe bei der Country Music. Wir spielen nicht einfach drauflos, sondern befassen uns mit dem Song, der Zeit, aus der er stammt oder die er anspricht und dem Thema. Dies alles hat einen Einfluss darauf, wie du ein Lied spielst.
LM: Nimm Stars wie Keith Urban. Ich würde diese Musik nicht kaufen, aber diese Künstler helfen, dass junge Menschen von der Musikrichtung angezogen werden und auf diese Weise vielleicht den Weg zur traditionellen Country Music finden. Viele junge Leute in Frankreich finden heute den Weg auch über den Line Dance. Sie wissen nichts über Country, finden aber den Tanzstil cool.

bm: Welche Scheibe befindet sich gerade in eurem CD Player im Auto?
LM: Brooks & Dunn.
PM: Davor hatten wir Kenny Chesney drin. Aber die aktuellen Alben von ihm gefallen mir nicht mehr so gut wie die früheren.
LM: Wenn uns heute einer sagt, wir müssen ein Stadion füllen, dann zwingt uns das vielleicht, auch den einen oder anderen aktuellen Nashville Song zu interpretieren. Aber solange das nicht notwendig ist, lassen wir es bleiben.

bm: Was macht ihr, wenn ihr nicht musiziert.
PM: Keine Ahnung, ist mir noch nie passiert (lacht). Ich spiele den ganzen Tag. Nach wie vor viele klassische Konzerte, Country, mein Musiklehrer Job, Songs schreiben. Diesen Winter tourte ich mit einem klassischen Orchester in Kanada.
LM: Ansonsten spielen wir zusammen mit Violine und klassischer Gitarre die alten Meister wie Paganini und andere. Es stimmt schon, es gibt kaum einen Moment, wo du uns nicht mit einem Instrument in der Hand antriffst – ausser jetzt natürlich.

bm: Wie genau kamt ihr eigentlich zur Country Music.
LM: Unsere Mutter hörte gerne Country und Rock’n’Roll. So kamen wir noch vor meinem Vater mit der Musik von Elvis, Carl Perkins, Johnny Cash und Kris
Kristofferson in Kontakt. Danach kamen dann unsere heutigen Vorbilder wie Waylon dazu.
PM: Wir lieben auch nach wie vor Rockabilly. Es ist voller Energie, einfache Songs, aber du musst ziemlich gut spielen können, damit es auch gut rüberkommt.

bm: Welchen Moment in eurem Leben würdet ihr gerne noch einmal durchleben, wenn ihr das könntet?
LM: Ich würde alles geben um noch einmal einen Tag mit unseren Grosseltern zu verbringen.
PM: Ja, deshalb haben wir auch unser neuestes Album, Real Life, unseren Grosseltern gewidment. Wir vermissen sie sehr.

bm: Ihr spielt vorwiegend in Frankreich und den angrenzenden Regionen. Habt ihr viele Reaktionen auf eure Musik aus England oder den USA?
LM: Es überrascht mich jedes Mal, wenn ich sehe, dass wir aus Brasilien oder sonst wo auf der Welt angeklickt werden. Ja, es gibt viele
Reaktionen, aber die Auftritte sind schon vorwiegend regional.

bm: Wenn ihr die Mariotti Brothers interviewen würdet, welche Frage stellt ihr ihnen, die ich nicht gestellt habe?
LM: Schwierig, wir kennen uns verdammt gut und wissen alles von einander.
PM: Seid ihr echte Brüder?
LM: Ja, diese Antwort können aber wohl nur unsere Eltern abschliessend geben (Gelächter)

bm: Das ist ein gelungener Abschluss. Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.