Interview mit Ronna Reeves

© March 1997 / Bruno Michel

 

bm: Ronna, wie würdest Du Deine Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat ?

RR: Nicht sehr traditionell, obwohl ich mit solcher Musik in West Texas aufwuchs und sie mag. Ich bin auch immer ein bisschen Pop. Eigentlich hasse es, wenn die Musik mit Labels versehen wird, weil es dann schnell Leute gibt, die sagen : “Pop, hmm, dann mag ich das wohl nicht.” Du kannst es progressiven Country nennen, obschon Fiddle und Steel Guitar mit in der Instrumentierung sind. Meine Stimme ist eher Pop-Country. Nein, ich hasse dieses Wort. Nennen wir es “Contemporary Country Music”.

 

bm: Country Musik befindet sich gegenwärtig auf einer phänomenalen Erfolgskurve. Warum glaubst Du, ist Country Musik heute so populär ?

RR: Weil es heute so viele verschiedene Künstler gibt, die auch ganz verschiedene Stilelemente mit in diese Musik einbringen. Dann aber auch, weil sich das Publikum mit Songs der Country Music identifizieren, dazu eine Beziehung herstellen kann. Country ist “real”. Vor Jahren gab es nur die traditionelle Schiene. Heute hast du Contemporary Country – ich liebe dieses Wort –, Du hast Rocking Country und eine Riesenauswahl  von Songschreibern. Ich glaube, je mehr Variationen Du in Deine Musik einbringen kannst, desto mehr Leute kannst Du damit ansprechen.

 

bm: Früher kannten wir diese Musik als Country & Western Music. Was denkst Du, ist mit dem Western Teil passiert.

RR: Meiner Meinung nach hat dieses Element schon angefangen zu verschwinden, als die Outlaws, wie Waylon Jennings oder Willie Nelson mit ihrem Musikstil sich etabliert hatten. Heute gibt es viele Leute, die mit dem Ausdruck “Country & Western” nicht mehr viel anzufangen wissen, sie sagen : “Wie bitte ? Das ist doch Country”.

 

bm: Aber in Deiner Heimat Texas gibt es viele Künstler, welche den Western Swing wieder entdecken.

RR: Richtig, tief im innern wissen sie wohl alle, dass dies immer noch die “Western” Elemente sind. Sie ziehen sich auch entsprechend an. Also warum kann man es dann nicht beim Namen nennen.  Ich glaube, das geht wieder auf das Thema mit den Labels zurück. Niemand mag es, wenn seine Musik in eine bestimmte Sparte gepresst wird.

 

bm: Hast Du einen Lieblingskünstler ?

RR: Ich mag viele Arten von Musik, nicht nur Country. Diese verschiedenen Arten beeinflussen mich auch sehr, denn ich denke, Du musst Dich als Künstler in anderen Musikstilen auskennen, um Dein ganzes Talent zu entwickeln. Aber mein Favorit ist Linda Ronstadt. Sie hat den Country Touch, wurde aber nie als “pure Country” angesehen, weil sie so verschiedene Projekte realisiert hat. Sie ist eine grossartige Sängerin. Es muss Spass machen, wenn Du einfach alles singen kannst. Als Kind habe ich sie immer versucht zu imitieren.

 

bm: Auf was schaust Du, wenn Du Material für ein neues Album auswählst ?

RR: Ein Song muss mich nach dem ersten Vers berühren, ich muss eine Beziehung dazu herstellen können. Entweder zu etwas, das ich selber erlebt habe, oder das jemandem aus meinem Bekanntenkreis passiert ist. Wenn es nach dem ersten Vers noch nicht “Klick” gemacht hat, dann kippe ich den Song. Heute versuche ich mehr eigenes Material zu schreiben. Das heisst aber noch nicht, dass ich diese Songs alle verwende. Am liebsten würde ich meine Fans fragen, aber dann ist es ja meistens schon zu spät, weil die Produktion bereits steht. Also lasse ich die Lieder von meinen Produzenten oder meinen Musikern kritisch prüfen. Und wenn die dann nicht denselben “Klick” verspüren, lasse ich auch eigene Songs wieder fallen.

 

bm: Hast Du ein Lied, welches all Deine Talente demonstriert ?

RR: Noch nicht, und ich glaube nicht, dass ich je einen haben werde. Ich habe stimmlich noch nicht alles erreicht, was ich zu leisten vermag und lerne jedes Jahr mehr dazu. Aber es gibt drei Songs, die, zusammengenommen, ziemlich gut mein heutiges Spektrum aufzeigen. Davon sind zwei nicht auf meinen Alben zu finden, weil ich glaube, dass ich in den Live-Versionen einfach mehr einbringen kann. Ich brauche das Publikum, um mich zu motivieren, und im Studio gibt es ein solches leider nicht. Einer ist ein Blues von Otis Redding, “I’ve Been Loving You”, der zweite ist Tammy Wynette’s “Stand By Your Man”, den ich in abgeänderter Form bringe. Der dritte Song ist auf meinem aktuellen Album und heisst “Next Train Out”, der zeigt meine Möglichkeiten auch ziemlich gut.

 

bm: Garth Brooks sagte einmal “Ein Lied ist eine Drei-Minuten-Gelegenheit, der Welt etwas mitzuteilen.” Was ist Deine “Mitteilung an die Welt” ?

RR: So etwas beinhaltet eine grosse Verantwortung, es könnte ja die falsche Message sein, die Du rüberbringst. Darüber habe ich nie nachgedacht. Aber ich passe auf, dass in meinen Songs keine Gefühle von jemandem verletzt werden können. Aus gewissen Songs von mir könntest Du eine Message herauslesen, zum Beispiel beim Album “Never Let Them See Me Cry”, der Song heisst “Staying Gone”. Es geht um eine missbrauchte Frau in einer sehr schlechten Beziehung, die es schliesslich schafft, sich davon zu lösen. Der Song will dem Zuhörer sagen : “Es gibt Leute da draussen, die sich um Dich kümmern und Dir helfen, egal in welch mieser Situation Du Dich befindest”.

 

bm: Wer hat Deine Karriere bis jetzt am meisten beinflusst ?
RR: Am Anfang sicher meine Familie. Ich hatte ja eine interessante Kindheit. Mit dreizehn Jahren in Nachtclubs zu singen, ist nicht jedem Kind gegeben. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, wenn ich etwas erreichen wollte und haben mich andererseits nie in etwas hineingezwungen. Dann mein Bruder Robbie, der seit zehn Jahren mit mir arbeitet und tourt. Er ist wohl heute der, der mich am meisten supportet und am ehrlichsten ist. Es macht ihm nichts aus zu sagen “Schwesterchen, Du bist zwar gut, aber das was Du da geliefert hast war Mist”. Auch mein Management arbeitet seit vierzehn Jahren mit mir zusammen und hat mich enorm unterstützt und weitergebracht. Ron und Joy Cotton sind für mich wie eine zweite Familie geworden. Musikalisch respektiere ich alle, die hart für den Erfolg arbeiten. Vielleicht neben Linda Ronstadt am ehesten noch Reba McEntire. Was sie für die Frauen in der Country Music geleistet hat, ist einfach grossartig.

 

bm: Wohin soll Dich Deine Musik in Zukunft bringen ?
RR: Ich habe Videos und CD’s gemacht und bin ein Teil dieses wunderbaren Geschäfts, aber, ich hatte noch nicht den ganz grossen Hit. Egal, ob er von mir oder jemand anderem geschrieben wird, ich möchte eines Tages einen Hit landen (lacht). Weisst Du, einen von der Art, den Du im Autoradio zum xten Mal hörst und sagst : “Nein bitte nicht schon wieder dieses Lied, wenn ihr das noch einmal spielt, drehe ich durch”. Dann bin ich daran, eine Pop-Produktion aufzunehmen. Und ich würde auch gern mal in einem Film mitspielen, auch wenn’s nur eine kleine Nebenrolle wäre.

 

bm: Was in Deiner Karriere hat Dich bisher am meisten befriedigt ?

RR: Live-Auftritte, Konzerttouren. Ich habe so früh damit begonnen, und ich brauche das Publikum um gute Leistungen zu bringen. Im Studio habe ich, wie schon gesagt, immer noch Probleme, weil kein direkter Feedback des Publikums möglich ist.

 

bm: Was hat Dir der Erfolg bisher gebracht ?

RR: Viel Zufriedenheit. Natürlich habe ich noch einen weiten Weg vor mir.  Dieses Geschäft ist hart und stressig. Aber ich bin glücklich, dass ich die Dinge beruflich tun kann, die ich am meisten liebe. Es gibt so viele Menschen, die mit ihrem täglichen Job unzufrieden sind. Ich habe meine Träume zum Teil verwirklichen können und das macht mich happy. Ich werde immer Musik machen. Sollte ich meinen Plattenvertrag verlieren, würde ich zurück in die Bars und Clubs gehen, aus denen ich komme, und dort wieder auftreten.

 

bm: Hat der Erfolg Dir etwas weggenommen ?
RR: Du musst Zugeständnisse machen. Dies habe ich schon als Kind gelernt. Dann ist es schwierig, Beziehungen aufzubauen. Ich war mal verheiratet. Ein Grund für meine Scheidung war, dass ich die Musik und die Live-Auftritte immer als wichtiger angesehen habe. Eigentlich verrückt, da kommt jemand in Dein Leben und Du sagst ihm : “Meine Musik ist die Nummer 1 und dann kommst Du”. Das ist schrecklich für jemanden, der sich eine übliche Partnerschaft vorstellt. Aber mit den Einschränkungen, die der Erfolg mit sich bringt, kann ich leben.

 

bm: Welchen Anteil hat Glück in der Karriere eines Artisten ?

RR: Glück, hmm, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein ist sicher wichtig. Aber Du brauchst etwas als Backup, falls das Glück zu lange auf sich warten lässt oder mal gerade nicht dort ist, wo Du es brauchst. Und das ist Talent und harte Arbeit.

 

bm: Wenn Du ein Interview mit Ronna Reeves führen würdest, welche Frage würdest Du ihr stellen, die ich nicht gestellt habe?

RR: Oh Gott, nein. Du hast all das “normale” Zeug nicht gefragt, dass einem immer wieder vorgesetzt wird. Normalerweise würde ich eine Deiner heutigen Fragen nehmen, denn die werden nicht oft gestellt. Also stelle ich mir jetzt eben eine dieser Standard-Fragen, und die lautet : “Wo siehst Du Dich heute in sechzig Jahren”.

 

bm: Und die Antwort ?

RR: (lacht) In sechzig Jahren bin ich pensioniert und gehe zu sämtlichen Konzerten in meiner Umgebung.

 

bm: Ein guter Abschluss. Ronna, vielen Dank für dieses Interview und weiterhin viel Glück und Erfolg.