bm: Ronna,
wie würdest Du Deine Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat ?
RR: Nicht
sehr traditionell, obwohl ich mit solcher Musik in West Texas aufwuchs und sie mag.
Ich bin auch immer ein bisschen Pop. Eigentlich hasse es, wenn die Musik mit
Labels versehen wird, weil es dann schnell Leute gibt, die sagen
: “Pop, hmm, dann mag ich das wohl nicht.” Du kannst es progressiven
Country nennen, obschon Fiddle und Steel Guitar mit in der Instrumentierung
sind. Meine Stimme ist eher Pop-Country. Nein, ich hasse dieses Wort. Nennen
wir es “Contemporary Country Music”.
bm: Country
Musik befindet sich gegenwärtig auf einer phänomenalen Erfolgskurve. Warum
glaubst Du, ist Country Musik heute so populär ?
RR: Weil
es heute so viele verschiedene Künstler gibt, die auch ganz verschiedene
Stilelemente mit in diese Musik einbringen. Dann aber auch, weil sich das
Publikum mit Songs der Country Music identifizieren, dazu eine Beziehung
herstellen kann. Country ist “real”. Vor Jahren gab es nur die traditionelle
Schiene. Heute hast du Contemporary Country – ich liebe dieses Wort –, Du hast
Rocking Country und eine Riesenauswahl
von Songschreibern. Ich glaube, je mehr Variationen Du in Deine Musik
einbringen kannst, desto mehr Leute kannst Du damit ansprechen.
bm: Früher
kannten wir diese Musik als Country & Western Music. Was denkst Du, ist mit
dem Western Teil passiert.
RR: Meiner
Meinung nach hat dieses Element schon angefangen zu verschwinden, als die
Outlaws, wie Waylon Jennings oder Willie Nelson mit ihrem Musikstil sich
etabliert hatten. Heute gibt es viele Leute, die mit dem Ausdruck “Country
& Western” nicht mehr viel anzufangen wissen, sie sagen :
“Wie bitte ? Das ist doch Country”.
bm: Aber
in Deiner Heimat Texas gibt es viele Künstler, welche den Western Swing wieder
entdecken.
RR: Richtig,
tief im innern wissen sie wohl alle, dass dies immer noch die “Western”
Elemente sind. Sie ziehen sich auch entsprechend an. Also warum kann man es
dann nicht beim Namen nennen. Ich
glaube, das geht wieder auf das Thema mit den Labels zurück. Niemand mag es,
wenn seine Musik in eine bestimmte Sparte gepresst wird.
bm: Hast
Du einen Lieblingskünstler ?
RR: Ich
mag viele Arten von Musik, nicht nur Country. Diese verschiedenen Arten
beeinflussen mich auch sehr, denn ich denke, Du musst Dich als Künstler in
anderen Musikstilen auskennen, um Dein ganzes Talent zu entwickeln. Aber mein
Favorit ist Linda Ronstadt. Sie hat den Country Touch, wurde aber nie als “pure
Country” angesehen, weil sie so verschiedene Projekte realisiert hat. Sie ist
eine grossartige Sängerin. Es muss Spass machen, wenn Du einfach alles singen
kannst. Als Kind habe ich sie immer versucht zu imitieren.
bm: Auf
was schaust Du, wenn Du Material für ein neues Album auswählst
?
RR: Ein
Song muss mich nach dem ersten Vers berühren, ich muss eine Beziehung dazu
herstellen können. Entweder zu etwas, das ich selber erlebt habe, oder das
jemandem aus meinem Bekanntenkreis passiert ist. Wenn es nach dem ersten Vers
noch nicht “Klick” gemacht hat, dann kippe ich den Song. Heute versuche ich
mehr eigenes Material zu schreiben. Das heisst aber noch nicht, dass ich diese
Songs alle verwende. Am liebsten würde ich meine Fans fragen, aber dann ist es
ja meistens schon zu spät, weil die Produktion bereits steht. Also lasse ich
die Lieder von meinen Produzenten oder meinen Musikern kritisch prüfen. Und
wenn die dann nicht denselben “Klick” verspüren, lasse ich auch eigene Songs
wieder fallen.
bm: Hast
Du ein Lied, welches all Deine Talente demonstriert ?
RR: Noch
nicht, und ich glaube nicht, dass ich je einen haben werde. Ich habe stimmlich
noch nicht alles erreicht, was ich zu leisten vermag und lerne jedes Jahr mehr
dazu. Aber es gibt drei Songs, die, zusammengenommen, ziemlich gut mein
heutiges Spektrum aufzeigen. Davon sind zwei nicht auf meinen Alben zu finden,
weil ich glaube, dass ich in den Live-Versionen einfach mehr einbringen kann. Ich
brauche das Publikum, um mich zu motivieren, und im Studio gibt es ein solches
leider nicht. Einer ist ein Blues von Otis Redding, “I’ve Been Loving You”, der
zweite ist Tammy Wynette’s “Stand By Your Man”, den ich in abgeänderter Form
bringe. Der dritte Song ist auf meinem aktuellen Album und heisst “Next Train
Out”, der zeigt meine Möglichkeiten auch ziemlich gut.
bm: Garth
Brooks sagte einmal “Ein Lied ist eine Drei-Minuten-Gelegenheit, der Welt etwas
mitzuteilen.” Was ist Deine “Mitteilung an die Welt” ?
RR: So
etwas beinhaltet eine grosse Verantwortung, es könnte ja die falsche Message
sein, die Du rüberbringst. Darüber habe ich nie nachgedacht. Aber ich passe
auf, dass in meinen Songs keine Gefühle von jemandem verletzt werden können. Aus
gewissen Songs von mir könntest Du eine Message herauslesen, zum Beispiel beim
Album “Never Let Them See Me Cry”, der Song heisst “Staying Gone”. Es geht um
eine missbrauchte Frau in einer sehr schlechten Beziehung, die es schliesslich
schafft, sich davon zu lösen. Der Song will dem Zuhörer sagen
: “Es gibt Leute da draussen, die sich um Dich kümmern und Dir helfen,
egal in welch mieser Situation Du Dich befindest”.
bm: Wer
hat Deine Karriere bis jetzt am meisten beinflusst ?
RR: Am Anfang sicher meine Familie. Ich
hatte ja eine interessante Kindheit. Mit dreizehn Jahren in Nachtclubs zu
singen, ist nicht jedem Kind gegeben. Meine Eltern haben mich immer
unterstützt, wenn ich etwas erreichen wollte und haben mich andererseits nie in
etwas hineingezwungen. Dann mein Bruder Robbie, der seit zehn Jahren mit mir
arbeitet und tourt. Er ist wohl heute der, der mich am meisten supportet und am
ehrlichsten ist. Es macht ihm nichts aus zu sagen “Schwesterchen, Du bist zwar
gut, aber das was Du da geliefert hast war Mist”. Auch mein Management arbeitet
seit vierzehn Jahren mit mir zusammen und hat mich enorm unterstützt und
weitergebracht. Ron und Joy Cotton sind für mich wie eine zweite Familie
geworden. Musikalisch respektiere ich alle, die hart für den Erfolg arbeiten. Vielleicht
neben Linda Ronstadt am ehesten noch Reba McEntire. Was sie für die Frauen in
der Country Music geleistet hat, ist einfach grossartig.
bm: Wohin
soll Dich Deine Musik in Zukunft bringen ?
RR: Ich habe Videos und CD’s gemacht und bin
ein Teil dieses wunderbaren Geschäfts, aber, ich hatte noch nicht den ganz
grossen Hit. Egal, ob er von mir oder jemand anderem geschrieben wird, ich
möchte eines Tages einen Hit landen (lacht). Weisst Du, einen von der Art, den
Du im Autoradio zum xten Mal hörst und sagst : “Nein
bitte nicht schon wieder dieses Lied, wenn ihr das noch einmal spielt, drehe
ich durch”. Dann bin ich daran, eine Pop-Produktion aufzunehmen. Und ich würde
auch gern mal in einem Film mitspielen, auch wenn’s nur eine kleine Nebenrolle
wäre.
bm: Was
in Deiner Karriere hat Dich bisher am meisten befriedigt ?
RR: Live-Auftritte,
Konzerttouren. Ich habe so früh damit begonnen, und ich brauche das Publikum um
gute Leistungen zu bringen. Im Studio habe ich, wie schon gesagt, immer noch
Probleme, weil kein direkter Feedback des Publikums
möglich ist.
bm: Was
hat Dir der Erfolg bisher gebracht ?
RR: Viel
Zufriedenheit. Natürlich habe ich noch einen weiten Weg vor mir. Dieses Geschäft ist hart und stressig. Aber
ich bin glücklich, dass ich die Dinge beruflich tun kann, die ich am meisten
liebe. Es gibt so viele Menschen, die mit ihrem täglichen Job unzufrieden sind.
Ich habe meine Träume zum Teil verwirklichen können und das macht mich happy. Ich
werde immer Musik machen. Sollte ich meinen Plattenvertrag verlieren,
würde ich zurück in die Bars und Clubs gehen, aus denen ich komme, und dort
wieder auftreten.
bm: Hat
der Erfolg Dir etwas weggenommen ?
RR: Du musst Zugeständnisse machen. Dies
habe ich schon als Kind gelernt. Dann ist es schwierig, Beziehungen aufzubauen.
Ich war mal verheiratet. Ein Grund für meine Scheidung war, dass ich die Musik
und die Live-Auftritte immer als wichtiger angesehen habe. Eigentlich verrückt,
da kommt jemand in Dein Leben und Du sagst ihm :
“Meine Musik ist die Nummer 1 und dann kommst Du”. Das ist schrecklich für
jemanden, der sich eine übliche Partnerschaft vorstellt. Aber mit den
Einschränkungen, die der Erfolg mit sich bringt, kann ich leben.
bm: Welchen
Anteil hat Glück in der Karriere eines Artisten ?
RR: Glück,
hmm, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein ist sicher wichtig. Aber Du brauchst
etwas als Backup, falls das Glück zu lange auf sich warten lässt oder mal
gerade nicht dort ist, wo Du es brauchst. Und das ist Talent und harte Arbeit.
bm: Wenn
Du ein Interview mit Ronna Reeves führen würdest, welche Frage würdest Du ihr
stellen, die ich nicht gestellt habe?
RR: Oh
Gott, nein. Du hast all das “normale” Zeug nicht gefragt, dass einem immer
wieder vorgesetzt wird. Normalerweise würde ich eine Deiner heutigen Fragen
nehmen, denn die werden nicht oft gestellt. Also stelle ich mir jetzt eben eine
dieser Standard-Fragen, und die lautet : “Wo siehst Du
Dich heute in sechzig Jahren”.
bm: Und
die Antwort ?
RR: (lacht)
In sechzig Jahren bin ich pensioniert und gehe zu sämtlichen Konzerten in
meiner Umgebung.
bm: Ein
guter Abschluss. Ronna, vielen Dank für dieses Interview und weiterhin viel
Glück und Erfolg.