Portrait Mark Chesnutt

© May 1999 / Bruno Michel & Monica Mahlmann

 

Als typischer Ost-Texaner mag er George Jones, gebratene Hähnchen, fischen am Sam Rayburn Lake oder zu Hause mit seiner Familie rumhängen. Sein trockener Humor, die gradlinige Art und eine erstklassige Stimmee mit Wiedererkennungswert charakterisieren ihn zusätzlich. Mark Chesnutt singt nicht nur Country, er hat Country im Blut.

 

Am 6. September 1963 in Beaumont, TX, geboren, hat Mark seine Country Wurzeln nicht entdeckt, in dem er sich ein 70er Jahre Eagles Album angehört hat oder indem er als verkleideter Rock’N’Roller auf der Country Welle mitreitet. Chesnutt ist wie ein Markenartikel. Echt vom Inhalt bis zur Verpackung.

 

„Ich habe nie versucht, jemanden zu imitieren“, meint er. „In Tat und Wahrheit kann ich Leute nicht ausstehen, die versuchen, sich selbst zu verleugnen und jemand anders zu sein.“ Auch auf der Bühne unterscheidet er sich von den zahlreichen ‚Nett-genug-für-Video-Aufnahmen‘-Typen, die auf CD alle gleich klingen. „Ich bin wohl ein Purist, der mit seinen Jungs auf der Bühne einfach eine Menge Spass hat, und der den direkten Kontakt zum Publikum braucht. Viele Künstler singen heute das, was sie in die Radios bringt,“ sagt Mark. „Ich muss singen, wovon ich selber eine Ahnung habe. Sonst klappt das bei mir nicht.“

 

Und er weiss, wovon er singt. Seine Kindheit war nicht auf Rosen gebettet. Der 1990 verstorbener Vater, Bob Chesnutt, betrieb einen Gebrauchtwagenhandel, der die Familie mal mehr, mal weniger ernährte. Aber der Vater war infiziert vom Country Virus. Und er gab ihn seinem Sohn weiter. „In den späten sechziger Jahren begleitete ich meinen Vater oft nach Nashville, wo er versuchte, seine Songs und Demo-Tapes an den Mann zu bringen“, erinnert sich Mark. „Vater erzählte unentwegt Stories über Lefty Frizzell oder George Jones, den er ziemlich gut kannte. Und abends zu Hause hörte ich vom Bett aus, wie er seine geschriebenen Songs vertonte und auf Band aufnahm.“


Als Mark älter wurde, gab es für ihn keinen Zweifel, dass er es seinem Vater gleichtun würde. Er lernte Schlagzeug und Gitarre spielen. „Ausser an meinem letzten Schultag sagte ich mir nie ‚Du willst dies oder jenes in deinem Leben erreichen‘. Ich hab’s einfach getan, und abgesehen von einigen kurzen Jobs in einem Gartencenter und bei einer Kurierfirma habe ich mich immer von der Musik ernähren können.“

 

Bis 1990, verbrachte er die meiste Zeit mit Auftritten in den Honky Tonks von Beaumont, wie z.B. im Cutter’s, im Doc Holiday’s, im Get Down Brown’s oder aber mit Aufnahmen für kleinere Lokal-Labels. Er erhielt die Chance im George-Jones-Theme-Park in Ost-Texas als Opener für Künstler wie Merle Haggard, Willie Nelsom oder Hank Williams Jr. aufzutreten. Auch die Jungs seiner Band sind nicht einfach nur Musiker. Mark: „Die meisten sind seit Jahren mit mir zusammen. Fast alle stammen aus Südost-Texas oder Südwest-Louisiana. So musste ich nicht nach Nashville fahren, um Fremde anzuheuern. In meiner Jugend hing ich schon mit einigen von ihnen herum und wir spielten später zusammen in den Clubs.”

 

Ein damals noch unbekannter Tracy Byrd war ab und zu ebenfalls in der Chesnutt-Band anzutreffen. Mark brachte mehrere Platten auf dem unabhängigen Label Cherry Records heraus. Mehrmals im Jahr reiste er nach Nashville, spielte in Clubs und traf eine Menge Leute und verteilte Demos. „Ich glaubte, wenn ich hart genug arbeite, laut genug meine Songs anpreise, würde mich irgendwann irgendwer hören und mich testen. Gottseidank ist genau das passiert.“

 

Und wie es passiert ist. Sein Entdecker, der Produzent und MCA-Nashville-Präsident, Tony Brown, erinnert sich: „Der regionale Promotion-Director von MCA Records, Roger “Ramsey” Corkill, besuchte einen Gig von Mark und schickte mir ein Demo des Songs Too Cold At Home. Ich fand ich die Stimme zu gut, um echt zu sein. Also ging ich nach Beaumont, um mir Mark live anzuhören.“ Ab diesem Zeitpunkt ging’s von Erfolg zu Erfolg. Seit seinem Debut-Album, Too Cold At Home, 1990, hatte er zahlreiche Nummer-1 und Top-10-Hits. Nebst seinem Debut wurden Almost Goodbye und Longnecks And Short Stories zu Platinum Alben und What A Way To Live sowie Greatest Hits erreichten Gold-Status.

 

Es berührt Mark heute noch, dass sein Vater nicht mehr an seinem Erfolg teilhaben konnte. „Als mein Song Brother Jukebox Nummer 1 wurde, wäre dies eigentlich ein Freudentag gewesen. Aber irgendwie war es ohne Dad nicht dasselbe. Er hat mich so sehr unterstützt in allem was ich tat, dass ich diese Erfolge gerne mit ihm geteilt hätte.“

 

Zwischen Brother Jukebox und heute lagen arbeitsreiche Jahre. „Meine Zeit wurde zu knapp für Hobbies und Familie“, meint Mark. Er absolvierte 1991 rund dreihundert Auftritte, war 1992 mit Joe Diffie auf Tour, ein Jahr später an der Fan Fair und bei den CMA Awards zu Gast. Auch in den folgenden Jahre waren volle Terminkalender der Alltag, aber mittlerweile kann sich Mark auch wieder mehr um seine Familie kümmern. Mit seiner Frau und seinem Sohn, Waylon Nelson Chesnutt verbringt er die meiste Freizeit zuhause in Jasper, TX.

 

Bei einigen seiner Songs war er Co-Author. Will er die Songschreiber-Fähigkeit verstärken? „Momentan bin ich zufrieden, wenn ich auf fremdes Material zurückgreifen kann. Ich brauche jemanden, der mich zum Schreiben motiviert, denn ich kann mich nicht einfach hinsetzen und loslegen. Bisher habe ich meinen kleinen Beitrag zu einigen Songs geleistet. Würde ich selber schreiben, kämen womöglich Lieder im Stil eines Merle Haggard der 60er Jahre heraus und keine 90er Jahre Songs.“

 

Mark Chesnutt hat es geschafft. Er könnte ewig auf der traditionellen Welle weiter reiten. Seine Referenzen können sich sehen lassen. George Jones, mit dem er schon einige Duette aufgenommen hat und der nach dem Tod seines Vaters auch ein guter Freund von Mark wurde, meinte einmal: „Dieser Junge aus Beaumont ist ein Volltreffer“. Oder George Strait, der auf die Frage, was er am liebsten zuhause für Musik höre, meinte: „Bob Wills, Ray Price und… Mark Chesnutt.“ Oder die Los Angeles Times, die Chesnutt als den „besten Sänger der neuen Traditionalisten“ bezeichnete.

 

Und trotzdem ist Mark’s Erfolg gleichzeitig sein Gefängnis. „Ich bin sehr stolz darauf, dass mich die Fans als einen der Behüter der traditionellen Country Music ansehen“, meint er. „Aber ich merkte, dass ich von den Leuten in eine Schublade gedrängt wurde. Als Hardcore-Country Fan hab ich nichts dagegen, das ist ja die Musik, die ich selber am meisten mag. Aber als Künstler möchte ich zeigen, dass ich auch anders kann.“

 

Also hat er auf seinem letzten Album, I Don’t Want To Miss A Thing, den Titel gleich in die Tat umgesetzt. Chesnutt-Fans werden ihren Star nach diesem Album noch mehr lieben. Neben Western Swing, Honky-Tonk und Cajun Touch gibt es da auch den balladesken Titelsong und einige bluesigere Lieder. Mark hörte den Titelsong zum ersten Mal auf einem Musikvideo von Aerosmith (die Diane-Warren-Komposition ist vom Film Armageddon). „Wir wollten nicht vom Film-Erfolg profitieren“, sagt Mark. „Wäre das das Ziel gewesen, hätten wir den Song gleich als Single gebracht, und nicht erst auf das Album gewartet.“

 

Experimente? „Ich wollte zeigen, dass ich mehr kann, als nur traditionelle Songs singen, dass ich auch ein breiteres Publikum erreichen kann“, so Chesnutt. „Ich weiss, dass einige Fans sagen werden: ‚Was will er damit, kopiert er jetzt Aerosmith?‘ Oder einige meinen, This Heartache Never Sleeps sei nicht Country.‘ Nun, egal, ich hoffe, man redet einfach über das Album. Ich habe nichts Extremes gemacht, ich hab mir nur einige gute Songs zusammengesucht.“

 

Der Schreiber, selber ein eingefleischter Hardcore-Country-Freak, kann damit leben. Und die meisten Chesnutt-Fans werden es ebenfalls können.