Review 9. Swiss Alps Country Music Festival Grindelwald

© August 1993 / Bruno Michel

 

Gegensätze ziehen sich an, sagt man. Nach diesem Motto haben auch die Veranstalter von Grindelwald das diesjährige Programm zusammen gestellt. Neben den Schweizer Formationen Paul MacBonvin und ABO gab es entweder pure traditional oder pure rock - und dazwischen nichts ausser den Pausen. Die rund 4'500 Fans, die sich bei strahlendem Wetter im Gletscherdorf trafen, störte dies wenig. Wiederum standen dem OK um Präsident Tom Stettler rund 450 Helfer aus 17 Ortsvereinen zur Seite, um eine perfekte Organisation zu garantieren. 

 

Paul MacBonvin

 

Paul und seine Freunde boten eine gute Eröffnungsshow. Allerdings fehlte ihnen noch etwas Action vor einem so grossen Publikum. Es gab bereits um 17.30 Uhr nur noch wenige freie Plätze in der Sporthalle, was bei dem sonnigen Wetter erstaunlich war. Ein beachtlicher Erfolg für den Opening Act. Bravo Paul!

 

 

 

 

Appalachian Barn Orchestra

 

Ein besonderes Jubiläum feiert gegenwärtig das Appalachian Barn Orchestra (ABO). Christa, Jens und Uwe Krüger boten ein Feuerwerk, sowohl musikalisch wie auch optisch. Erstmal hatten sie ihre eigene Berglandschaft aus Karton mitgebracht. Dann rissen Nebelkerzen, Trockeneis und ein am Haken schwebender, banjospielender Jens Krüger das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Dass Jens "fliegende Finger" hat, wussten wir ja bereits. Aber dass er nun bei seinen Konzerten auch noch selber fliegt, ist neu. Hoffentlich ist er schwindelfrei.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlon Thompson & Suzi Ragsdale

 

Traditionell bietet Grindelwald neben dem offiziellen Lineup seit einigen Jahren auch einen Surprise Act. Diesmal war es wieder Verlon Thompson, der schon vor zwei Jahren das Publikum mit seinem eigenen Liedmaterial begeisterte. Verlon hatte kurz zuvor seine Frau Suzi Ragsdale in Grindelwald geheiratet. Klar, dass auch sie eine Kostprobe ihrer grossartigen Stimme gab und den Auftritt zusammen mit Ehemann Verlon bestritt. Nur durch seine Gitarre begleitet, kamen die Duette der beiden hervorragend zur Geltung.

 

 

 

 

The Cowboy Jubilee

 

Das Label Warner Western hat es sich zum Ziel gemacht, die Cowboy Musik zu erhalten. Neben Produktionen mit alter, traditioneller Musik dieses Genres wird 1994 auch ein Album mit modernen Cowboy Songs erscheinen. Cowboy Music und Cowboy Poetry geniessen in den USA einen Aufschwung. Jack Hannah von den Sons Of The San Joaquin sagte dazu, dass noch vor wenigen Jahren kaum mehr als ein paar Cowboy-Poetry-Gatherings pro Jahr stattfanden. Heute seien es wieder über einhundert Anlässe jährlich allein in Texas. Warner Western ist auch das Label von Don Edwards, Waddie Mitchell und den Sons Of The San Joaquin. Diese Künstler traten zuerst einzeln und dann noch gemeinsam auf. Grosses Lob an die Fans: Alle hörten gespannt den doch eher ruhigen Darbietungen zu.

Don Edwards' neues Album Songs Of The Trail verrät durch den Titel schon die Art der Musik, die dieser Mann mit 30jähriger Bühnenerfahrung spielt. Es ist Cowboy Music pur, wunderschöne Balladen und Geschichten, welche durch Dons tiefe Stimme eine besondere Note erhalten. Zur Popularität seiner Musik befragt meinte Don: "Ich wurde nie reich, konnte aber immer gut davon leben." Ein achtes Album wurde gerade bei Warner Western fertig gestellt und trägt den Titel Goin' Back To Texas.

 

 

 

 

Waddie Mitchell ist ein echter Cowboy, aufgewachsen auf einer Ranch, die er heute noch bewirtschaftet. Er ist auch ein Cowboy Poet, das heisst, er singt nicht, sondern erzählt gereimte Geschichten aus dem Leben der Cowboys und Rancher. Musik wird, wenn überhaupt, nur als Background gespielt. Der an die zwei vorgetragenen lustigen Geschichten anschliessende Applaus verhielt sich proportional zu den Englischkenntnissen des Publikums. Vor seinem Auftritt sagte mir Waddie, dass er sich hüten werde, seine Stories im Cowboy Slang vorzutragen. Dies könne er nicht mal überall in Amerika tun. Cowboys verwenden viel Jargon. Gott sei Dank tat er es wirklich nicht, sonst hätte ihn womöglich überhaupt keiner mehr verstanden.

 

 

Die Sons Of The San Joaquin baten mich schon vor dem Konzert scherzhaft darum, dafür zu sorgen, dass keine reifen Früchte und nur Plastikflaschen ans Publikum ausgegeben würden. Was die Leute zu hören bekämen, sei so total verschieden vom Groove eines Charlie Daniels oder den Pirates of the Mississippi, dass er, Jack Hannah, befürchtete, das Publikum könnte die Show nicht mögen. Was Jack, sein Bruder Joe und dessen Sohn Lon zu bieten hatten, war Harmoniegesang vom Feinsten. Ein grosser Teil der Zuschauer dankte es mit einer Standing Ovation. Nach dem Auftritt fragte ich Jack, was er nun von seinen anfängliche Befürchtungen halte. Total überwältigt sei er und es habe ihn mit Freude erfüllt, wie das Publikum sie aufgenommen und verstanden habe, sagte Jack tief gerührt.


Wie kamen sie zu ihrer Musik? Jack und Joe, beides Lehrer, sassen 1985 am 85. Geburtstag ihres Vaters zusammen im Garten und spielten einige Geburtstagslieder. Joe's Sohn, Lon, fragte, ob er mitsingen dürfe und so kam ihr Trio zustande. Sie fühlen sich durch die Sons Of The Pioneers inspiriert. Auch ihr neues Album, das im August erscheint, wird Lieder dieser Gruppe beinhalten, welche sie aber nie selbst aufgenommen haben.

 

Pirates Of The Mississippi

 

Wir waren alle gespannt auf diese Band. Die Musiker kommen aus den unterschiedlichsten Berufen (Fabrikarbeiter, Programmierer, Songwriter, Publizist, Manager), sind seit vielen Jahren befreundet und trafen sich vor rund sechs Jahren zu regelmässigen Jam Sessions. Der Bandname entstand aus einem Song, den sie wegen Drummer Jimmy Lowe geschrieben haben. Boll McCorvey meinte, dass Jimmy bestimmt als Pirat auf dem Mississippi leben würde, wenn er nicht zuerst Programmierer und danach Musiker geworden wäre.

Die Band hatte in den letzten Monaten eine enorme Pressepräsenz in den USA. Sie unterstützten zahlreiche Vereinigungen, die arbeits- und obdachlosen Amerikanern helfen. Sie gaben Benefiz Konzerte und halfen mit, Essen an diese Menschen zu verteilen. Der Song A Street Man Named Desire von Lead Gitarrist Rich Alves kam aufgrund dieser Erlebnisse der Band während einer USA Tournee zustande. Auf die Frage, ob sie künftig auch in weiteren Songs ihr Publikum auf diese Missstände hinweisen wollen, meinte Rich, dass sie nicht in eine Sparte gepresst werden wollen, nur weil sie auf dieses Problem aufmerksam gemacht hätten. Sie hätten das Thema verarbeitet, weil es so eindrücklich für sie war, wollten aber nun nicht auf jeder Produktion darauf eingehen. Sie würden wieder andere Themen wählen. Es sei ein bisschen wie bei Charlie Daniels - ihre Musik sei schwer zu schubladisieren. Das nächste Album ist bereits fertig gestellt und erscheint im September. Wir dürfen gespannt sein. Ein Song trägt nämlich den Titel The Night They Rocked The Grand Ole Opry.

An diesem Abend spielten sie leider A Street Man Named Desire nicht, dafür zahlreiche rockige Songs und leider viel zu wenige der schönen Balladen, welche die Band auf Lager hat. Eines der Konzert Highlights war denn auch eine ebensolche Ballade mit dem Titel Feed Jake. Rich Alves auf meine Frage, ob der Hund Jake wirklich existiere: "Aber ja, es ist jedermanns Hund. Jake steht für alle treuen Hunde dieser Welt. Kürzlich wurden wir von Kindern bei einem Konzert gefragt, wo Jake sei. Ich antwortete, er sei gerade mit Lassie auf den Bahamas."

 

Charlie Daniels

 

Um 23.30 Uhr war es dann soweit; The Charlie Daniels Band. Viele Erwartungen waren an diesen Auftritt geknüpft, denn auf dem letzten Album America I Believe In You ist Charlies Markenzeichen, die Fiddle, überhaupt nicht zu hören.

Darauf angesprochen, dass es doch eher ein rockiges Album sei, meinte Charlie: "Ich gebe meiner Musik keine Labels, weder nenne ich sie Country, noch Rock noch sonst was. Wenn ich einen Song nicht schreiben würde, nur weil ich denke, dass er nicht in eine Sparte passt, würde ich vielleicht versäumen, einen sehr guten Titel zu schreiben. Es kann gut sein, dass auf meiner nächsten Produktion wieder fünf oder sechs Fiddle Tunes sind, genauso gut kann es aber sein, dass wieder keiner drauf ist."

 

Und weiter meinte Charlie: "Wir kategorisieren die Musik viel zu sehr. Es gibt nur zwölf Musiknoten auf dieser Welt. Die Leute verwenden sie nur unterschiedlich. Aber Beethoven brauchte die gleichen Noten wie B.B. King. Ich versuche einfach, gute Musik zu machen und erwarte von meinen Musikern, dass sie einhundertzehn Prozent geben. Keiner meiner Fans soll ein Konzert verlassen und sagen: 'Der hat sich keine Mühe gegeben'. Es kann sein, dass ihnen die Musik nicht gefällt, aber sie sollen für ihr Geld Qualität hören und sehen."

Der erste Teil des Sets war dem Southern Rock gewidmet mit zum Teil zu langen Solopartien der einzelnen Musiker. Ein Highlight allerdings der zusammen mit den Pirates of the Mississippi gespielte Song The South Is Gonna Do It Again. Nach einer knappen Stunde kamen dann endlich Fiddle und Banjo zum Einsatz. Und nun füllten sich auch die zuvor etwas gelichteten Zuschauerränge wieder. Charlies tänzerische Einlage zum Song The Devil Went Down To Georgia war wirklich sehenswert. Das war Charlie Daniels, wie ihn das Schweizer Publikum liebt. Bleibt die Frage, ob er an diesem Abend nicht erfolgreicher gewesen wäre, wenn er das Konzert mit seinen Fiddle Tunes begonnen hätte.

Am 18. April 1994 findet das 10. Swiss Alps Country Music Festival in Grindelwald statt - gleichzeitig das letzte, welches vom bisherigen OK organisiert wird. Tom Stettler versicherte mir, dass für Nachwuchs im OK gesorgt ist und dass einige der "Neuen" diesmal bereits mit gearbeitet hätten. Er sei zuversichtlich, dass es auch ein 11. Swiss Alps Festival geben werde. Hoffentlich behält er recht.