Portrait Lorrie Morgan

© May 1999 / Bruno Michel & Monica Mahlmann

 

Als Kind hat sie so manche Nacht Backstage in der Grand Ole Opry verbracht. Mit 13 Jahren konnte sie dort ihren ersten Auftritt mit dem Janice Torre / Fred Spielmann Song Paper Roses feiern. Lorrie Morgan, Tochter des berühmten, 1975 verstorbenen, George Morgan, hat ihre musikalische Laufbahn sozusagen schon in der Wiege begonnen.

 

Die heute 40jährige Sängerin hat ihre Karriere in mehreren Stufen aufgebaut. Mit 17 Jahren lebte sie bereits von der Musik. Ein Jahr später bekam sie ein Engagement im Opryland, Nashville, wo sie für zwei Saisons in einer Bluegrass-Show auftrat. Lorrie begann, eigene Songs zu schreiben und erhielt einen Deal mit der Publishing Firma Acuff-Rose.

 

Als 21jährige tourte sie als Opener mit George Jones. Sie heiratete den Steeler Ron Gaddis und brachte eine Tochter zur Welt. Die Ehe hielt nur kurz und Lorrie war als alleinerziehende Mutter genauso auf Arbeit angewiesen, wie Tausende anderer Mütter in ihrer Lage. Sie sang Demo-Sessions und machte Plattenaufnahmen für verschiedene Firmen, die aber mehr oder weniger unbemerkt blieben. Bereits 1985 wurde sie Mitglied der Opry.

 

Der nächste wichtige Abschnitt ihres Lebens begann wiederum Backstage in der Opry. Sie traf Keith Whitley, der eigentlich aus der Bluegrass Szene stammte, und verliebte sich in ihn. Ein Jahr später heiratete sie ihn. Das Eheglück sollte nicht von langer Dauer sein. Whitley hatte 1988 seinen Nummer-1-Hit Don’t Close Your Eyes. Im Mai 1989 starb er an einer Überdosis Alkohol in Verbindung mit Tabletten. Was blieb, war der gemeinsame Sohn Jesse Keith, der 1987 zur Welt kam. Nun war Lorrie schon wieder allein, und manch anderer Mensch hätte wohl anlässlich dieses erneuten Schicksalsschlags seine Karriere an den Nagel gehängt oder zumindest für längere Zeit unterbrochen.


Nicht Lorrie. Zu lange hatte sie für Anerkennung und Erfolg gekämpft. Fast gleichzeitig mit Keith’s Tod begann nämlich ihre Plattenkarriere mit der ersten Single Dear Me aus dem Debut-Album Leave The Light On abzuheben. Also sagte sie Ihre Tournee nicht ab, kam allen vertraglichen Verpflichtungen nach, um dem Album die richtige und wichtige Werbepräsenz zu geben.

 

Neben Dear Me waren auf dieser Scheibe drei weitere Top-10-Hits, sowie die erste Nummer-1, Out Of Your Shoes, vertreten. Im April erreichte sie Gold-Status. Damit war Lorrie nach K.T. Oslin die zweite Sängerin in der Geschichte der Country Music, der es gelungen war, vom Erstling 500'000 Kopien abzusetzen.

 

Da sie zu Keith‘ Lebzeiten keine Gelegenheit hatten, je ein Duett aufzunehmen, ging Lorrie im Frühjahr 1990 ins Studio und nahm ihre Stimme zum Song Til A Tear Becomes A Rose auf. Es folgten Touren mit Clint Black und Alabama. Das im Frühjahr aufgenommene Duett brachte ihr und post mortem auch Keith Whitley im Herbst 1990 eine besondere Ehrung mit der Verleihung des Vocal Event of The Year Award der CMA.

 

Im folgenden Jahr erschienen die Alben Classics und Something In Red. Letzteres einhaltete wiederum vier Top-10-Hits, nämlich We Both Walk, A Picture Of Me Without You, Except For Monday und Something In Red. Die CMA nominierte Lorrie im selben Jahr für den Female Vocalist of The Year Award und sie wurde mit einem TNN/MCN Award ausgezeichnet.

 

Lorrie wechselte noch einmal das Label, ging zu BNA und brachte im Oktober 1992 Watch Me  heraus. Für den männlichen Part im Video zum Song I Guess You Had To Be There hatte sie keinen geringeren als Kris Kristofferson engagiert. Die beiden trafen sich erstmals 1992 anlässlich der ACM Award-Verleihung und stellten fest, dass sie Fans voneinander waren. Klar, dass Kristofferson gerne die Rolle in Lorrie´s Video übernahm.

 

All diese Alben zeigten eine Künstlerin, deren zahlreiche Facetten endlich von einem breiten Publikum akzeptiert wurden.

 

Nach dem 93er Weihnachtsalbum Merry Christmas From London, beschäftigte sich Lorrie unter anderem mit der Schauspielerei im TV-Film Proudheart und mit vielen karitativen Auftritten bei Wohltätigkeitsveranstaltungen zu Themen wie Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Krebs. Und sie entwickelte sich immer mehr von der Sängerin zur Entertainerin, ganz so, wie sie es an ihrem Vater immer geschätzt hatte. Auch George Morgan war nicht einfach nur auf die Bühne gegangen, sondern hatte das Publikum stets als Teil seiner Show mit eingebunden.

 

Lorrie hatte auf ihren bisherigen Alben keine selbst geschriebenen Songs aufgenommen. “Ich habe Songs geschrieben seit ich 15 war,” sagt sie. “Zahllose Songs. Ich hab’ sie nie gespielt und schrieb einfach nur für mich selbst. Meine Publizistin Susan Nadler war die Einzige, die wirklich an mich als Songschreiberin glaubte.“ Sie erzählte Kris Kristofferson davon und er meinte :Lorrie, Du musst diese Songs aufnehmen. Eine Menge Leute sind Schreiber. Wenige sind Poeten. Du bist ein Poet.“ Diese Anerkennung des von Lorrie so sehr geschätzten Kollegen ermutigte sie, die Songs War Paint (geschrieben mit Tom Shapiro) und If You Came Back From Heaven (mit Richard Landis) für ihr 94er Album aufzunehmen.

 

Im selben Jahr bekam Lorrie den TNN/MCN Award Female Artist of The Year. Ein weiterer Höhepunkt war die Veröffentlichung des Keith Whitley – Tribute Albums, für das sie eine Reihe namhafter Stars und Songschreiber wie Alan Jackson, Ricky Skaggs, Mark Chesnutt, Daron Norwood, Joe Diffie, Diamond Rio und andere begeistern konnte.

 

Da sie bei ihrem Filmdebut 1993 einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, bekam Lorrie für 1995 von ABC Television eine grössere Rolle in dem Fenseh-Film The Lind Bergstrom Story angeboten. “Ich war total überrascht,” sagt sie und fügt hinzu: “Ich glaube, dass Proudheart eine Menge Türen für mich geöffnet hat und die Leute erkennen liess, dass es mir ernst ist mit der Schauspielerei.“ Die Dreharbeiten fielen genau mit der Veröffentlichung des Greates Hits Albums zusammen, einer hervorragenden Zusammenstellung alter Hits, sowie drei brandneuen Songs.

 

Die erste ausgekoppelte Single I Didn´t Know My Own Strength wurde wieder ein Top-10-Hit. Auf diesem Album ist ausserdem Keith Whitley´s letzter Song Til A Tear Becomes A Rose zu hören. “Es ist irgendwie traurig, ein Greatest Hits-Album herauskommen zu sehen,” sagte Lorrie damals, “weil es bedeutet, dass ich in eine neue Phase meines Lebens aufbreche. Ich fühle mich, als ob ich an einem Scheideweg stehe.” Doch sie nahm auch diese Herausforderung an. So verkaufte sie im April 1995 das Haus in Goodlettsville, in dem sie mit Keith Whitley gewohnt hatte und zog mit ihren beiden Kindern in ein neues Haus nördlich von Nashville.

 

1996 folgte das nächste Projekt Greater Need. „Dieses Album beschreibt mich als Frau besser, als alles, was ich bisher veröffentlicht habe“, sagte Lorrie. „Es zeigt, wie sehr ich mich entwickelt habe, und darauf bin ich stolz.“ Die erste, vom Lebensmittelproduzenten Kraft gesponsorte, Tournee stand im gleichen Jahr an. Lorrie feierte Riesenerfolge zusammen mit ihren Kolleginnen Pam Tillis und Carlene Carter.

 

im Jahr danach kam das Album Shakin‘ Things Up und sogar gleich drei Veröffentlichungen fanden 1998 den Weg zu den Fans: Super Hits, Essential und Secret Love. Ihrem aktuellen 99erAlbum My Heart hat sie ein zweites gegenüber gestellt. Girl’s Night Out, ein Joint-Venture mit den Kolleginnen Sara Evans, Martina McBride und Mindy McCready. Ein Querschnitt durch die Songs von vier modernen und selbstbewussten Frauen.

 

Lorrie Morgan hat hart um ihren Erfolg gekämpft. Tochter eines berühmten Vaters zu sein hat ihr nicht allzu viele Türen geöffnet. Dazu Lorrie: „Ich gebe mich nicht so schnell geschlagen. Es mag Zeiten gegeben haben, in denen ich nahe dran war, aber das liess ich niemanden spüren. Du musst die Eigenverantwortung übernehmen, denn niemand tut es sonst für Dich.“

 

Hinter dem Image der starken Frau verbirgt sich allerdings eine sehr sensitive Persönlichkeit - und vielleicht ist es gerade das, zusammen mit ihren aufrichtigen Emotionen, was den Reiz ihrer Musik, ihrer Performance ausmacht. “Ich singe gerne Songs, die mein Leben betreffen,” sagt Lorrie. “Dinge, zu denen ich eine Beziehung habe. Wenn ich es kann, können es auch eine Menge anderer Menschen im Publikum.”